Der gerade erschienene Bericht der Europäischen Umweltagentur ist eindeutig: In der Europäischen Union werden die Grenzwerte für Luftverschmutzung noch immer regelmäßig überschritten. Das heißt: die Schadstoffkonzentrationen liegen über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Feinstaubpartikel und Stickstoffoxid bereiten Sorgen
Dabei geht es natürlich um viele verschiedene Schadstoffe aus vielen verschiedenen Quellen. Am meisten Sorgen bereiten Experten dabei aber die sogenannten Feinstaubpartikel, besonders auf lange Sicht. Kurzfristig machen sie sich hingegen vor allem Sorgen um zu hohe Konzentrationen an Stickstoffdioxid. Hauptverantwortlich für den Ausstoß dieser Schadstoffe sind neben Industrie und Landwirtschaft vor allem der Straßenverkehr und Heizungen.
Luftverschmutzung wird für viele Arten von Erkrankungen verantwortlich gemacht beziehungsweise soll zumindest zu ihnen beitragen, darunter Atemwegserkrankungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Krebs und diverse andere Leiden, so Hans Bruyninckx im Gespräch mit der VRT. Der Belgier ist seit fast zehn Jahren Direktor der Europäischen Umweltagentur.
Gerade Kinder und Jugendliche sind betroffen
Wobei die verunreinigte Luft nicht für alle Menschen gleich gefährlich ist, wie Bruyninckx unterstreicht. Ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen sind natürlich grundsätzlich anfälliger, aber daneben sind es vor allem Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren, für die Luftverschmutzung besonders schädlich sein kann. Und zwar schon, bevor sie überhaupt auf die Welt kommen. Wenn die Mütter während der Schwangerschaft in Gegenden mit schlechter Luftqualität leben, dann wiegen ihre Babys bei der Geburt oft weniger, außerdem kommt es auch häufiger zu Frühgeburten. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten auch gezeigt, dass sich Luftverschmutzung noch im Fötus auf die Entwicklung der Organe auswirken könne.
Aber ein Großteil der körperlichen Entwicklung eines Kindes passiert ja erst nach der Geburt – und auch hier sind die negativen Folgen von Luftverschmutzung nachgewiesen. Gehirn, Organe, Immunsystem – all das müssten Kinder erst noch voll ausbilden, so Bruyninckx. Wenn sie während dieser Phase Schadstoffen ausgesetzt seien, könne das zu Entwicklungsrückständen und lebenslangen Konsequenzen führen.
Körperbau der Kinder spielt besondere Rolle
Hinzu kommt, dass Kinder aufgrund ihres Körperbaus beziehungsweise ihres Stoffwechsels auch noch besonders anfällig sind für das Einatmen von Schadstoffen über die Luft. Kinder atmen nämlich schneller, also häufiger als Erwachsene, wie der Lungentoxikologe Tim Lawrot erklärt. Je häufiger jemand atmet, desto mehr Schadstoffe gelangen in den Körper. Außerdem atmen Kinder stärker durch den Mund und sind viel mehr draußen aktiv als Erwachsene, auch das wirkt sich negativ auf die Schadstoffaufnahme aus. Auch nicht vergessen sollte man den Faktor Körpergröße: Je kleiner ein Mensch, desto näher befindet sich sein Kopf zum Beispiel an den Auspuffen von Autos und Lkws. All das kann gerade bei Kindern und Jugendlichen zu Asthma führen, zu einer Verringerung der Lungenkapazität, Atemwegsinfektionen und auch zu Allergien.
Der beste Weg, um nicht nur Kinder, sondern alle Menschen besser zu schützen, ist natürlich, das Problem bei der Wurzel zu packen, sprich: eine allgemeine Verbesserung der Luftqualität durch eine Reduzierung des Ausstoßes an Abgasen und Schadstoffen. Das soll unter anderem durch immer strengere europäische Umweltgesetze erreicht werden.
Bauliche Maßnahmen können Kinder schützen
Es gibt aber auch spezifischere Empfehlungen, und die sollen da greifen, wo sich Heranwachsende naturgemäß besonders viel aufhalten. Schon bei der Planung von etwa Schulen müsse darauf geachtet werden, dass sie nicht zu nah an stark befahrenen Straßen liegen, so Lungenexperte Lawrot, und dafür möglichst dicht an Grünflächen. Bei schon bestehenden Schulen müssten möglichst viel Verkehr und Schadstoffproduzenten von den Schulen entfernt werden, so andere Experten. Etwa durch Sperrungen, verkehrsberuhigte Zonen, breite Rauchverbote, das Verbot, den Motor laufen zu lassen, wenn das Auto steht und die Verlegung der Haltestellen für Schulbusse, die ja noch meist direkt vor den Eingängen der Schulen stoppen. Eine weitere Maßnahme sei, viel benutzte Schulräume eher nach ihnen zu verlegen, also weg von der Straßenseite der Gebäude. Und noch etwas können gerade Eltern tun: ihren Kindern beibringen, möglichst schadstofffreie Wege nach Hause zu nehmen.
Boris Schmidt