"Nachbarstaaten können immer etwas voneinander lernen. Aber sie müssen nicht immer den gleichen Weg gehen." Botschafter Martin Kotthaus sieht in den unterschiedlichen Entscheidungen von Belgien und Deutschland zu aktuellen Fragen und Themen kein Problem. Denn ein direkter Vergleich sei im Einzelnen oft nicht möglich. Die Situationen und Ausgangslagen seien im Detail eben nicht die gleichen.
Bei der aktuellen Frage zur Verlängerung der Atomreaktoren verweist der Botschafter auf die Zeit. Während in Belgien die AKW erst 2025 hätten abgestellt werden sollen, soll das in Deutschland planmäßig schon Ende dieses Jahres passieren. Kotthaus rechnet vor: "2025 sind drei Jahre länger als in Deutschland 2022. Das sind schon ganz andere Fristen und ganz andere Abläufe. Und daher hat sich die Bundesregierung dazu entschieden, die AKW nicht zu verlängern.“
Vorteile von Windenergie
Gleich sei hingegen sowohl in Deutschland als auch in Belgien, dass beide Länder die aktuelle Energiekrise jetzt dazu nutzen wollen, erneuerbare Energien massiv auszubauen. Deutschland habe da in der Vergangenheit schon viel getan. Aber auch Belgien.
Kotthaus sagt: "Belgien ist ja bei den erneuerbaren Energien gerade im Bereich Offshore-Wind einer der besten Standorte auf dem Planeten. Da hat Belgien sehr viel geschafft. Was ich sehr beeindruckend finde. Bei einer relativ kurzen Küstenlinie ist Belgien da sehr weit vorne."
Windenergie sei deshalb sicher eine der Zukunftsenergien für Belgien, biete aber auch noch einen anderen Vorteil: "Noch interessanter ist natürlich die Verknüpfung mit Nachbarstaaten. Es gab ja den Gipfel in Dänemark, bei dem Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Belgien sich zusammengetan haben, um die Nordsee als gigantische Batterie zu nutzen.“
NRW-Belgien
Dadurch könne Windenergie zu einer weiteren Energieart werden, bei der Deutschland und Belgien zusammenarbeiten könnten. Die Wasserstoffstrategien beider Länder wertet Kotthaus als ähnlich. Auch Flüssiggas werde eine Rolle zwischen beiden Ländern spielen. Mit Allegro gebe es bereits eine erste direkte Stromverbindung über die Grenze hinweg. Über den Bau von Allegro 2 werde zurzeit wohl nachgedacht.
Unterstützt werden könnten diese Energiethemen auch von der neuen schwarz-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst habe sogar familiäre Verbindungen nach Belgien. Weshalb Kotthaus sagt: "Ich glaube, die sehr guten Verbindungen NRW-Belgien werden sicherlich weiter fortbestehen, wenn nicht sogar weiter vertieft."
Deutsche Sprache fördern
Dass sich der belgische Staat bislang nicht bei seiner ehemaligen Kolonie in Afrika, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, für die Verbrechen der Kolonialzeit entschuldigt hat, will der deutsche Botschafter nicht negativ werten. "Jeder der Staaten, der eine koloniale Vergangenheit hat, geht unterschiedlich damit um. Weil auch die kolonialen Vergangenheiten unterschiedlich gelebt worden sind und unterschiedliche Auswirkungen auf die Staaten, auf die zwischenstaatlichen Beziehungen haben."
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Belgien und Deutschland sieht Kotthaus in der deutschen Sprache als offizielle Sprache in beiden Ländern. Da aber das Interesse an der deutschen Sprache in Belgien zurückgehe, wolle die Deutsche Botschaft im Oktober eine Woche lang über Veranstaltungen erstmals in ganz Belgien für die deutsche Sprache werben. Denn: "Deutschland bleibt der wichtigste Handelspartner für Belgien. Weswegen deutsch können, deutsch sprechen können hilft, auch bei Wirtschaftsbeziehungen. Hilft auch bei zwischenmenschlichen Beziehungen, hilft bei politischen Beziehungen, bei Kultur. Deswegen glauben wir, es lohnt sich, die deutsche Sprache in Belgien zu fördern."
Kay Wagner