In der dortigen Gedenkstätte haben am Montagnachmittag Vertreter aus 50 Ländern an einer Gedenkfeier teilgenommen, darunter auch König Philippe und Königin Mathilde, sowie die geschäftsführende Premierministerin Sophie Wilmès. Im Mittelpunkt standen aber die rund 200 Holocaust-Überlebenden, die noch einmal an diesen Ort des Schreckens gekommen waren.
Auschwitz, das Vernichtungslager der Nazis, steht quasi stellvertretend für den Holocaust, für das ultimative Grauen, die Hölle auf Erden. Nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Menschen wurden dort ermordet, die übergroße Mehrheit waren Juden.
Nur wenige sind lebend aus Auschwitz herausgekommen. Angesichts der anrückenden Sowjets hatte die SS rund 60.000 Häftlinge in "Todesmärschen" noch eiligst nach Westen getrieben. Am 27. Januar 1945 wurde die riesige Anlage von der Roten Armee befreit. Die Soldaten trafen da nur noch 7.000 Menschen an; die meisten von ihnen waren in furchtbarem Zustand. Die Bilder aus Auschwitz-Birkenau lösen eine Schockwelle aus. Das Jahrhundertverbrechen wurde für alle Welt sichtbar.
Es gibt nur noch wenige Überlebende, die ihre schrecklichen Erlebnisse erzählen können. Einer von ihnen, das ist der Alberto Israël. Der heute 92-Jährige war mit 17 Jahren nach Auschwitz deportiert worden. Von der griechischen Insel Rhodos aus, wo er damals mit seiner Familie lebte. "Es gab erstmal nur zwei Möglichkeiten", sagte Alberto Israel in der VRT, "wenn der Zug im vorderen Teil des Lagerkomplexes anhielt, dann gab es eine Selektion, fuhr er bis zum Ende durch, dann wurden alle Zuginsassen sofort vergast."
Sein Zug hatte im vorderen Teil angehalten. Selektion. Einer seiner Brüder muss nach rechts, der zweite auch, sein Vater und er stehen auf der linken Seite der Rampe. Plötzlich habe sein Vater zu ihm gesagt: "Gehe nach rechts zu deinen Brüdern", erst habe er noch gezögert, sein Vater habe aber darauf bestanden und ihn zum Abschied noch einmal geküsst. Er sei dann auf die rechte Seite gegangen. "Mein Vater hatte verstanden", sagt Alberto Israël.
Noch am selben Tag wurde sein Vater ermordet. Alberto überlebte die Hölle von Auschwitz...
Das gilt auch für Paul Sobol. Er war erst im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert worden. Dabei habe er doch eigentlich gedacht, dass die Nazis nach der Landung der Alliierten in der Normandie mit ihrer Jagd auf Juden aufhören würden. Als er in Auschwitz ankam, da wurde ihm eine Häftlingsnummer in den Unterarm eintätowiert: B3635. Das "B" steht für Belgien: Paul Sobol kennt die Kennnummer noch auf Deutsch, da er sie so oft sagen musste.
Die Menschen wurden buchstäblich zu einer Nummer. "Zu einem Untermenschen", sagte Paul Sobol in der VRT. Es war wichtig, dass man vergaß, wer man gewesen war. Denn jeder, der nach Auschwitz kam, der verließ das Lager allenfalls noch durch den Schornstein.
Sobol kam lebend aus Auschwitz heraus. Und er hat, wie auch Alberto Israël, viele Jahre damit verbracht, seine schrecklichen Erlebnisse zu erzählen und immer wieder zu erzählen. Um die Erinnerung wachzuhalten. Um zu verhindern, dass sich ein solches Verbrechen wiederholt.
Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers haben auch noch einmal Überlebende das Wort ergriffen. Viele waren wohl zum letzten Mal anwesend, da die großen Gedenkfeiern nur alle 5 Jahre stattfinden. Besonders bewegend war die Rede von Bat-Sheva Dagan, die sich offensichtlich an den Horror erinnern konnte, als wäre es gestern gewesen. Die 94-Jährige stellte mit schneidender Stimme die wohl schmerzlichste Frage, bei der man sich auch noch heute angesprochen fühlen kann: "Wo war die Welt?". "Wo war die Welt, die diese unschuldigen Opfer hätte retten können?".
Die Überlebenden, die bei der Gedenkfeier in Auschwitz das Wort ergriffen, hatten alle die gleiche, mahnende Botschaft: "Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen. Wehret den Anfängen! Tut alles, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt! Haltet die Demokratie und die Menschenrechte hoch! Erteilt Rassismus und Populismus eine Absage."
Man spürt es: Viele sind in gewisser Weise in Auschwitz geblieben. Manche ganz, manchmal war es nur ein Teil von ihnen. "Das Schlimmste, das sind die Albträume", sagte auch Alberto Israël. "Und das hört nie auf?", fragt der VRT-Journalist. Und Alberto Israel schüttelt nur schweigend den Kopf.
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