In Weißrussland sorgt wenige Monate vor der Präsidentenwahl der mysteriöse Tod eines oppositionellen Publizisten für Aufregung. Regierungskritiker widersprachen am Samstag der Version der Staatsanwaltschaft, der Betreiber der wichtigen oppositionellen Internetseite charter97.org, Oleg Bebenin (36), habe Selbstmord begangen. Bebenin war am Freitag in seinem Wochenendhaus bei Minsk erhängt aufgefunden worden.
In der Vergangenheit hatte es in der von Staatspräsident Alexander Lukaschenko mit harter Hand regierten Ex-Sowjetrepublik immer wieder rätselhafte Todesfälle von Journalisten und Bürgerrechtlern gegeben.
«Weder im Haus noch am Körper des Toten wurden Spuren eines Kampfes entdeckt», zitierte die Agentur Interfax am Samstag aus den Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei. Auf dem Boden habe ein umgeworfener Schemel gelegen, teilte Behördensprecher Alexander Daniltschenko mit.
Weggefährten des Toten schlossen einen Freitod aus. «Ich glaube nicht an Suizid», sagte der Oppositionelle Andrej Sannikow. «Viele Dinge rufen ernste Zweifel hervor. So wurde kein Abschiedsbrief gefunden.» Ähnlich äußerte sich Natalia Radina, die mit Bebenin an der Internetseite gearbeitet hatte. «Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und noch große Pläne.»
Bebenin hatte die Internetseite, die ein wichtiges Sprachrohr der Opposition ist, seit 1998 trotz starken Widerstands der Regierung in Minsk betrieben. Der autoritäre Staatschef Lukaschenko wird von Gegnern als «Europas letzter Diktator» bezeichnet. Immer wieder kommt es in Weißrussland, wo noch die Todesstrafe vollstreckt wird, zu Festnahmen von Regierungskritikern sowie zu Razzien bei Bürgerrechtlern und dem «Verschwinden» von Oppositionellen.
Ermittlungen des Europarates legten vor einigen Jahren nahe, dass mehrere Lukaschenko-Gegner 1999 von einer sogenannten Todesschwadron mit engsten Kontakten zur Staatsführung entführt und ermordet wurden.
Der 56 Jahre alte Staatschef will bald den Termin der nächsten Präsidentenwahl bekanntgeben, die noch 2010 stattfinden könnte. Internationale Beobachter hatten Abstimmungen in dem Land stets als undemokratisch kritisiert und beklagen auch diesmal unfaire Bedingungen für die Opposition.
Wolfgang Jung und Marina Rachlej (dpa) - Bild: epa