Er will endlich mal richtig ausspannen. Zehn Tage mit der Familie auf der idyllischen Atlantik-Insel Martha's Vineyard am Strand liegen, wandern, Eis essen gehen. «Der Präsident möchte die Zeit definitiv dafür nutzen, seine Batterien aufzuladen», sagt der Vize-Sprecher des Weißen Hauses, Bill Burton, über die Urlaubspläne seines Chefs. Doch wenn Barack Obama an diesem Donnerstag in dem beliebten Ferienort an der US-Atlantikküste eintrifft, wird er nicht nur gute Bücher im Gepäck haben, sondern auch viele Sorgen.
Nach gut eineinhalb Jahren im Amt scheint der Präsident eine Atempause dringend zu benötigen - denn nach Ansicht vieler Amerikaner ist dem einstigen Hoffnungsträger merklich die Luft ausgegangen. Erstmals zeigt sich die Mehrheit der Bürger mit Obama unzufrieden: Der neuesten Umfrage des Gallup-Instituts zufolge stellen 51 Prozent ihrem Staatsoberhaupt schlechte Noten aus. Nur 42 Prozent haben noch Lob für ihn übrig - zu Beginn der Amtszeit waren es 68 Prozent.
Besonders die vergangenen Tage zeigten einen rapide ergrauten Obama, der reif für die Insel ist. Im Streit über den Bau einer Moschee in der Nähe des Ground Zero in New York verzettelte er sich mit seinen Äußerungen so sehr, dass er nicht nur die Opposition zu beißender Kritik einlud. Bei einer Gelegenheit schien er den Bau mit Verweis auf die Religionsfreiheit inbrünstig zu unterstützen, bei der nächsten nahm er seine Aussagen wieder zurück. Selbst demokratische Parteigenossen schüttelten über ihren Präsidenten den Kopf.
Gleichzeitig fiel ihm sein neuer Top-Kommandeur in Afghanistan, David Petraeus, in den Rücken. Gleich in drei Interviews stellte der General den Abzugstermin der US-Truppen infrage - und damit auch Obamas Versprechen an das kriegsmüde Volk, die Soldaten ab Juli 2011 wieder nach Hause zu holen. Angesichts schleppender Fortschritte am Hindukusch konnte das Weiße Haus nur zurückhaltend auf die Worte des Mustergenerals reagieren: «Wenn der Präsident eine Zusage macht, dann hält er sie auch ein», sagte Burton knapp, nur um zu ergänzen, dass der Umfang des Abzuges aber von der Sicherheitslage im Land abhänge.
Diese Episoden zeigen Kommentatoren zufolge erneut, dass Obama seit dem Amtsantritt seine größte Stärke eingebüßt hat - die Kunst, den richtigen Ton zu treffen. «Obama wurde wegen der Klarheit seiner Kampagne und seiner Reden gewählt», schrieb die «New York Times» jüngst. Seine Aussagen als Präsident seien dagegen überraschend unstimmig und unverständlich. «Es ist keine Frage, dass die im Weißen Haus ein Problem mit der Kommunikation haben», sagt David Morey von der Core Strategy Group, einer PR-Beratung, die Obama im Wahlkampf zur Seite stand. «Sie haben die Kontrolle über den Dialog verloren.»
Trotz aller Sorgen: Eigentlich gäbe es für Obama gute Gründe, im Urlaub seine jüngsten Erfolge zu feiern. Mit der Gesundheits- und Finanzreform setzte er gegen den erbitterten Widerstand der Republikaner historische Gesetzeswerke durch - und das gleich in der ersten Hälfte seiner Amtszeit. Auch die Ölpest im Golf von Mexiko hat der Präsident unter Kontrolle bekommen - demonstrativ ging er am Wochenende bei einem Kurzbesuch mit Tochter Sasha im Golf baden. Außenpolitisch konnte er unter anderem mit Russland, Israel und Großbritannien Wogen glätten.
Doch die Bevölkerung hat ganz andere Probleme, die sie endlich gelöst sehen möchte. Die Arbeitslosigkeit stagniert trotz aller Konjunkturpakete auf historisch hohem Niveau von fast zehn Prozent. Das Wirtschaftswachstum bleibt nach neuesten Aussagen der Notenbank (Fed) hinter den Erwartungen zurück. Und die Schulden des Staates türmen sich auf rund 1,5 Billiarden Dollar (knapp 1,2 Billiarden Euro) - das empfinden selbst kreditverwöhnte Amerikaner als erschreckend hoch.
Vor allem die wirtschaftlichen Sorgen der Bürger sind für die Republikaner rund zehn Wochen vor den Kongresswahlen ein gefundenes Fressen, um Obama zu anzugreifen. In der Frustration der Bürger sehen sie ihre Chance, den Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit abzuringen - und Obama das Regieren mit Blick auf die Präsidentenwahl 2012 deutlich zu erschweren. Diese «feindliche Übernahme» zu verhindern, sei sein Fokus für die kommenden Monate, sagte Obama in dieser Woche auf einer Wahlkampfveranstaltung in Kalifornien. Auf Martha's Vineyard muss er dafür die nötige Kraft sammeln.
Marco Mierke und Chris Cermak (dpa) - Bild: epa