David Cameron hat kaum eine andere Wahl. Die Staatsschulden in Großbritannien sind so erdrückend, dass der neue Premierminister sparen muss, koste es was es wolle. Bei einem astronomisch hohen Schuldenberg von knapp 900 Milliarden Pfund und einem Defizit von noch immer über zehn Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr sind fast griechische Dimensionen erreicht.
Der politische Handlungsspielraum für den neuen Mann in der Downing Street Nummer 10 ist 100 Tage nach seinem Amtsantritt angesichts solcher Zahlen begrenzt.
Augen zu und durch lautet für Cameron die Devise. Er geht dabei gleich ein doppeltes Risiko ein. Durch das vorbehaltlose Zurückdrehen der Kostenschraube werden die Chancen, nach langer Rezession endlich wieder das Wachstum anzukurbeln, deutlich gemindert, glauben Wirtschaftsexperten. Die britische Zentralbank korrigierte noch am Mittwoch ihre Wachstumsprognose für 2011 nach unten. Eine der Begründungen: Die Auswirkungen des Sparpakets.
Neben dem Wachstum sinkt durch den drastischen Sparkurs aber auch die eigene Popularität und damit der Rückhalt der Bevölkerung. Zu spüren bekommt das im Moment vor allem der Juniorpartner in der ersten britischen Regierungskoalition nach dem Krieg: Die Zustimmung für die Liberaldemokraten des einst gefeierten Parteichefs Nick Clegg ist laut neuesten Umfragen von 23 Prozent auf 16 Prozent zurückgegangen. Auch Camerons Sympathiewerte beginnen allmählich zu bröckeln.
Kein Wunder: Die konservativ-liberale Koalition kürzte in ihren ersten drei Regierungsmonaten, wo es nur ging. Bis zu 40 Prozent ihres Etats sollen einzelne Ministerien einsparen, hat Schatzkanzler George Osborne seinen Kabinettskollegen auferlegt. Allein aus dem neun Milliarden Pfund umfassenden Justizetat sollen zwei Milliarden Pfund herausgekürzt werden, kündigte die Finanzchefin des Ressorts, Ann Beasley, am vergangenen Dienstag an und fügte hinzu: «Wir werden weniger werden müssen.»
Jobs stehen auch in anderen Bereichen der Verwaltung zu tausenden auf der Kippe. Das lebenslange Recht auf eine Sozialwohnung für Bedürftige soll fallen, hunderte Spielplätze werden nicht gebaut. Das Rentenalter wird heraufgesetzt, die Mehrwertsteuer auch. Zur Jagd auf Steuersünder und Sozialschmarotzer will Cameron private Firmen heranziehen und so Milliarden eintreiben. «Dem Steuerzahler werden 1,5 Milliarden Pfund hart verdientes Geld gestohlen», argumentierte Cameron am Dienstag bei einem öffentlichen Forum in Manchester. «Wir werden nicht mit den Schultern zucken und diese Leute unbehelligt lassen.»
Die Wirtschaft reagiert schon. Die in Großbritannien höchst wichtige Immobilienbranche sagt fallende Häuserpreise voraus, weil die Ersparnisse der Menschen sinken und sich künftig weniger Leute den Hauskauf werden leisten können. Der Einzelhandelsverband BRC sprach von einer spürbaren «Verunsicherung» der Verbraucher. Mit den teils verstaatlichten Banken liegt Cameron im Clinch, weil sie aus seiner Sicht kleinen Unternehmern zu wenig Kredite geben. Die Gewerkschaften drohten Streiks an, falls die Sparpläne - laut «Daily Telegraph» die härtesten, die jemals in einer westlichen Demokratie geschmiedet wurden - mit voller Wucht umgesetzt würden.
Die Flucht in die Außenpolitik hilft Cameron nicht viel weiter. Zwar hat sein Außenminister William Hague zu Beginn seiner Amtszeit recht groß angekündigt, die Außenbeziehungen Großbritanniens wieder auf neue Füße zu stellen und den Schulterschluss mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Indien, Russland, China und Brasilien zu suchen. Der Premier selbst musste dann erkennen, dass Diplomatie eine hohe Schule sein kann.
Um seinen jeweiligen Gastgebern bei Auslandsreisen zu gefallen, brüskierte er mit unglücklichen Äußerungen andere wichtige Partner wie Pakistan und Israel - und mit der Haltung zum EU-Beitritt der Türkei auch Deutschland. Seine dann schnell relativierte Behauptung, der Iran habe bereits eine Atombombe, brachte ihm gar Hohn und Spott von der Opposition im eigenen Lande ein. Diese macht aber nach dem Rückzug von Schwergewichten wie Ex-Premier Gordon Brown und Langzeit-Minister Jack Straw sowie dem erklärten Bankrott des Projektes «New Labour» auch keine gute Figur. Schwacher Trost für Cameron.
Michael Donhauser (dpa) - Bild: epa