Im Golf von Mexiko verschwindet langsam das Öl, zumindest an der Oberfläche. Aber die Giftbrühe verabschiedet sich auf teuflische Weise: Jetzt verklebt sie vor allem flügge gewordenen Jungvögeln das Gefieder. Für spezialisierte Helfer nimmt der Stress kein Ende.
Wo vor nicht allzu langer Zeit noch Gabelstapler Holzbalken umherkarrten, fiept es jetzt herzzerreißend aus jeder Ecke. «Erst vorige Woche haben wir gleich ein paar hundert Tiere neu hereinbekommen», erzählt Jay Holcomb, Chef des Internationalen Zentrums für Vogelrettung und Forschung (IBRRC), während er durch die neue Hilfsstation seiner Organisation in Hammond (US-Staat Louisiana) führt. «Das war ein regelrechter Schub», berichtet der Vogelschutz-Veteran. Und er kann sich jederzeit wiederholen.
Bis zu 3.000 Vögel behandeln
Der Umzug in das einstige Holzlager war bitter nötig: Bis zu 3.000 Vögeln können Helfer dort jetzt Öl aus dem Gefieder waschen, sie aufpäppeln und auf die Freiheit vorbereiten - dreimal so viel wie vorher. Zu beengt war die frühere Bleibe im Ölpest-Gebiet, zu nahe am Meer und damit Stürmen ausgesetzt. Die Rechnungen zahlt BP. Immerhin ist das Bohrloch seit Mitte Juli provisorisch gestopft, endgültig versiegelt sein soll es Ende August. «Wenn das Bohrloch zu ist, hoffen wir, dass die Zahlen runtergehen», sagt Holcomb.
«Klinik» nennt das IBRRC die Station eine Autostunde nördlich von New Orleans, und die Patienten werden immer jünger: Einst waren die Hauptklienten ausgewachsene Pelikane, jetzt sind es gerade flügge gewordene Aztekenmöwen und Jungtiere auch anderer Vogelarten - als wollte die Ölpest noch einmal besonders grausam ihren langsamen Abschied inszenieren. «Die Jungen sind wie Kinder, die in Pfützen spielen wollen», erläutert Holcomb. Nur dass sich die arglosen Tiere dort eben mit Öl das Gefieder verschmutzen.
Viele tote Tiere

Die traurige Bilanz der Behörden soweit: Insgesamt mehr als 1.400 Vögel wurden tot und sichtbar verölt im Ölpest-Gebiet aufgelesen, die allermeisten davon in Louisiana. Über 1.600 mit der rostbraunen Pampe im Gefieder fanden Helfer lebend. Danach sind Meeresschildkröten die am schwersten betroffen Tiere: mehr als 270 fand man ölverschmiert, aber am Leben. Für knapp 20 kam jede Hilfe zu spät. Das alles sind freilich sehr vorläufige Zahlen. Bei der Exxon-Valdez-Katastrophe 1989 starben in dem verseuchten Wasser etwa 250.000 Seevögel, 2.800 Otter, 300 Seehunde, 250 Seeadler und 20 Wale.
Etwas mehr als 500 Vögel sind an diesem Tag in der Station in Hammond untergebracht - eine Zahl, die sich jederzeit drastisch nach oben ändern kann. Etwa die Hälfte davon sind Aztekenmöwen. Manche der Tiere harren unterkühlt unter Rotlicht in der «Intensivstation» aus, manche sind nur wenig verschmutzt, andere schon wieder sauber und draußen in großzügigen Käfigen untergebracht, wo sie auf ihre Aussetzung in die Freiheit warten - weit weg vom Öl, in den Südstaaten Georgia, Florida oder Texas. Die vielen Jungtiere müssen länger in der Obhut der Menschen bleiben als die Alten. «Wir ziehen sie hier regelrecht groß, weil sie noch nicht richtig fliegen können», sagt Holcomb.
Noch kein Ende in Sicht
Für ihn und seine 40 bis 50 Mitstreiter kann von einem Ende des Umweltdramas keine Rede sein. «Es ist noch nicht vorbei.» Der IBRRC-Direktor spricht aus, was jeder an der amerikanischen Golfküste denkt und weiß. Wie lange die Station wohl noch in Betrieb bleiben wird? Schwer zu sagen, räumt Holcomb ein, der immerhin seit einem Vierteljahrhundert Vögel aus dem Öl rettet. «Wir nehmen an, noch ein paar Monate, bestimmt noch den September hindurch.»
Seit dem Beginn des IBRRC-Einsatzes am Golf Ende April wuschen Helfer mehr als 1.200 Vögeln Öl aus den Federn. «Das ist für eine Ölpest von drei Monaten Dauer nicht allzu viel.» Kleinreden will er die Katastrophe aber nicht. «Wir wissen nicht, wie viele verendet oder noch verölt und lebend da draußen sind», meint Holcomb düster.
Frank Brandmaier (dpa) - Bilder: epa