250 wütende Duisburger vor dem Rathaus brüllen «Sauerland raus» und «Sauerland weg» - so laut, dass ihnen fast die Luft wegbleibt. Knapp eine Woche nach dem Loveparade-Desaster steht für viele der Schuldige fest. Kaum verhohlene Rücktrittsforderungen kommen sogar von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Doch Sauerland schiebt in Zeitungsinterviews die Verantwortung an die Fachleute seiner Verwaltung weiter. So unbeliebt ist er in der eigenen Stadt geworden, dass er sich nicht mal zur Trauerfeier am Samstag traut - aber im Amt bleiben will er trotzdem.
Bei der Demonstration am Donnerstagmorgen schiebt ein Duisburger einen Holzgalgen vor sich her. Daran hängt eine Puppe mit Sauerlands Gesicht und einem Foto des Loveparade-Veranstalters Rainer Schaller in der Hand. «Wäre die Loveparade gelungen, würde Sauerland gerne die Verantwortung übernehmen», brüllt einer durch das Megafon. Mit jedem Redebeitrag werden die Menschen wütender. Auch die Polizei wird kritisiert: «Sie haben mich davon abgehalten, zu helfen», ruft ein Duisburger. Demonstrations-Organisator Markus Schröder kann die Menge erst beruhigen, als er um eine Schweigeminute für die Opfer bittet.
Oberbürgermeister Adolf Sauerland bleibt auch an diesem Donnerstag abgetaucht. Statt in der Öffentlichkeit hat er in zwei am Donnerstag erschienenen Zeitungsinterviews seine Sicht der Dinge dargestellt: Alle Fachleute seiner Verwaltung hätten dem Sicherheitskonzept zugestimmt. Wenn es Fehler gab, seien das Fehler der ganzen Verwaltung. Und die Verantwortung der Stadt habe nach dem Konzept noch vor dem Tunnel zum Loveparadegelände geendet. Alles andere liege in der Hand des Veranstalters.
Das Wegducken und das Weiterschieben der Schuld seit dem Katastrophen-Wochenende geht also weiter. Sauerland sieht den Schwarzen Peter bei Loveparade-Veranstalter Schaller. Der hatte Anfang der Woche vor allem die Polizei kritisiert. Die Retourkutsche kam am Mittwoch von Innenminister Ralf Jäger (SPD) als oberstem Dienstherrn der Polizei. Er warf dem Veranstalter vor, zu wenig Ordner eingesetzt zu haben. Schaller und Jäger kritisieren beide auch die Stadt: Sie habe alles abgenickt und übernehme jetzt keine Verantwortung.
Alle Beteiligten reden nur noch in Interviews oder Pressekonferenzen - öffentlich an einem Tisch sind sie nicht mehr zu sehen. Und bei allen Statements meint man den Einfluss der Rechtsanwälte zu spüren, die die Kontrahenten längst beraten. Strafverfahren und millionenschwere Zivilklagen sind bei dem katastrophalen Scheitern der Veranstaltung sehr wahrscheinlich. Die Versicherungssumme der Loveparade von 7,5 Millionen Euro dürfte bei 21 Toten und hunderten Verletzten schnell überschritten sein.
Vor diesem Hintergrund ist ein befreiendes Schuldbekenntnis noch vor der Trauerfeier in der Duisburger Salvatorkirche am Samstag sehr unwahrscheinlich. Die Veranstaltung wird in 20 weitere Stadtkirchen und das MSV-Stadion mit 25.000 Plätzen übertragen. Neue Demonstrationen gegen die Verantwortlichen des Desasters sind nicht auszuschließen, ein erneuter Großeinsatz von Polizei und Ordnern ist vorprogrammiert. «Die Trauerfeier ist für die Leute und nicht für den Bundespräsidenten. Hoffentlich stehen wir am Samstag nicht wieder eingequetscht hinter Absperrgittern», ruft am Donnerstag vor dem Rathaus ein Demonstrant.
Rolf Schraa und Dennis Werner (dpa) - Bild:epa