Mit einer riesigen Handelsdelegation ist Premierminister David Cameron in Indien eingetroffen. Großbritannien will von der rasend schnell wachsenden Wirtschaft der einstigen Kolonie profitieren. Um Irritationen vorzubeugen, betonte Cameron in der Zeitung «The Hindu», er komme «in einem Geist der Demut».
Gleichzeitig hofft er, eine «special relationship» mit Indien aufzubauen. Über die «special relationship» der Briten mit den USA hat Helmut Schmidt einmal gesagt, sie sei so speziell, dass nur eine Seite von ihr wisse. Damit meinte er, dass die Briten dieser Beziehung immer sehr viel mehr Bedeutung beigemessen haben als die Amerikaner. Mit Indien könnte es den Briten ähnlich ergehen, denn das Riesenland kann sich seine Partner inzwischen aussuchen. Außerdem bezieht sich das «Spezielle» ja wohl auf die gemeinsame Vergangenheit, und an die denken die Briten vermutlich lieber zurück als die Inder. Es sei denn, man geht sehr weit zurück.
Es war im Jahre 1583, als England seine erste Handelsmission nach Indien entsandte. Die stolze Königin Elizabeth I. gab sich in ihrem Brief an den «unbesiegbaren, mächtigen» Großmogul ungewohnt kleinlaut. Untertänigst bat sie darum, den englischen Kaufleuten Handelsvorteile zu gewähren, «sofern Euch dies beliebt».
Heute ist das Verhältnis wieder ähnlich. Robin Cook, Tony Blairs erster Außenminister, hatte die Inder vor zwölf Jahren noch mit seinem Angebot erzürnt, im Kaschmir-Konflikt mit Pakistan zu vermitteln. Der damalige indische Ministerpräsident Inder Kumar Gujral nannte Großbritannien daraufhin eine «drittklassige Macht», die sich eine solche Rolle nicht anmaßen könne. Heute würde es sich kein britischer Politiker mehr herausnehmen, so aufzutreten wie Cook. Indien ist jetzt die umschmeichelte Großmacht.
Bessere Beziehungen zu Aufsteigern wie Indien, China und Brasilien sind das wichtigste außenpolitische Ziel der neuen konservativ-liberalen Regierung in Westminster. Wirtschaftsinteressen stehen dabei im Vordergrund. London hofft aber auch, sich dadurch als eine unabhängig von der Europäischen Union handelnde Macht profilieren zu können. In seiner Grundsatzrede sprach der konservative Außenminister William Hague am 1. Juli abschätzig von «Gruppierungen wie der EU». Sein erklärtes Ziel: «maximaler Einfluss in der Welt».
Angesichts der enormen Verschuldung des Landes halten viele Beobachter diesen Anspruch für nicht einlösbar. Martin Wolf, Chefkommentator der britischen «Financial Times», empfiehlt den Briten stattdessen, sich mit ihrem geringeren Gewicht abzufinden und sich dabei an den Niederlanden zu orientieren.
Die Niederlande, so argumentiert Wolf, waren auch einmal eine weltumspannende See- und Handelsmacht, doch ihr Abstieg setzte schon 250 Jahre früher ein als bei den Briten. Sie hätten jedoch das Beste daraus gemacht und seien nun schon sehr lange ein wohlhabendes, stabiles Land mit hoher Lebensqualität. Die Alternative für Großbritannien sei eine völlige Erschöpfung seiner Staatsfinanzen: «Das Vereinigte Königreich steht vor der existenziellen Frage: Will es ein großes Griechenland oder ein großes Holland werden?»
Christoph Driessen (dpa) - Bild: epa