Man spricht vom "dunkelgrauen" Montag - schwarz war er also nicht. Dabei hatte am Montag zeitweise doch ein Hauch von Panik durch das ehrwürdige Gebäude an der New Yorker Wall Street geweht. Fast wie im Zeitraffer schnellten die Zahlen nach unten. Einen Moment lang stand der Dow Jones unglaubliche 1.600 Zähler im Minus - in absoluten Zahlen gab es das noch nie. Prozentual, also im Verhältnis zum vorherigen Stand von über 25.000 Punkten, war der Einbruch nicht ganz so verheerend. Am Ende stand die Wallstreet "nur" 4,6 Prozent im Minus.
Also: War das nun ein Crash oder nicht? "Nein!", sagt entschieden der Wirtschaftswissenschaftler Étienne de Callataÿ. Ein Minus von knapp fünf Prozent könne man nicht als Börsenkrach bezeichnen. Zum Vergleich: 1987 war der Dow Jones um 23 Prozent eingebrochen - fast ein Viertel also. Da wirken nicht mal fünf Prozent dann doch noch eher harmlos.
Kräftige Kursrutsche in Europa
Nur weiß man spätestens seit 1929: Regnet es in New York, dann tröpfelt es überall auf der Welt - mindestens. Am Dienstagmorgen gab es auch in Europa kräftige Kursrutsche. Der Bel20 stand einen Moment lang knapp vier Prozent im Minus. Danach pendelte sich das Ganze aber ein. Der Schaden hielt sich in Grenzen.
"Dafür gibt es auch einen Grund", sagte Xavier Timmermans, Analyst bei BNP-Paribas-Fortis, in der RTBF. In Europa sei der Höhenflug in den letzten Wochen und Monaten längst nicht so beeindruckend gewesen wie in den USA. Entsprechend falle dann auch die Korrektur harmloser aus.
Höhenkoller und steigende Zinsen
Eine Korrektur ist es trotzdem. Und Experten sehen dafür zwei mögliche Ursachen. "Erstens, man könnte sagen: ein Höhenkoller", sagt Ökonom Étienne de Callataÿ. Grob gesagt: Wir haben einen fast beispiellosen Höhenflug erlebt. Irgendwann sind die Aktien aber so teuer, dass die Rendite nicht mehr so attraktiv ist.
Die zweite Ursache, die allgemein identifiziert wird, ist paradoxerweise im Grunde erstmal eine gute Neuigkeit: In den USA steigen zum ersten Mal seit Jahren die Gehälter. Die Erfahrung lehrt aber, dass das die Preise anziehen lässt. Und eine steigende Inflation sorgt dafür, dass die Zentralbank Tendenz dazu hat, die Zinsen anzuheben. Und steigende Zinsen machen Aktien weniger attraktiv.
Höhenkoller und potentiell steigende Zinsen - beides sorgt für klassische Gewinnmitnahmen, erklärte auch der Analyst Frank Vranken in der RTBF. Anleger machen einen Teil ihrer Aktien zu Geld, um die dann in Obligationen zu investieren, zwar mit kleinerer Rendite aber dafür ein sicherer Hafen.
Steuergeschenke
Und noch ein Paradox. Denkbar ist, dass US-Präsident Donald Trump die Wirtschaftswelt eigentlich fast schon zu sehr verwöhnt hat, glaubt Frank Vranken. Konkret: Eigentlich ergreift die Trump-Administration Maßnahmen, die man eigentlich nur ergreift, um den Konjunkturmotor wieder anzuwerfen. Nur: Der läuft eigentlich längst, er schnurrt sogar wie ein Kätzchen. Die enormen Steuergeschenke an die Unternehmen können denn auch dafür sorgen, dass die Wirtschaft überhitzt. Für die US-Notenbank wäre das noch ein Grund mehr, die Zinsen anzuheben. Zu viel des Guten also aus Sicht der Wirtschaft - eine zu hohe Dosis "Make America great again".
Stellt sich nur noch die Frage: Wie geht das jetzt weiter? Der heutige Börsentag deutet sich sehr volatil an. Da reicht ein leichtes Zucken, um die Abwärtsspirale wieder in Gang zu setzen. Er glaube eigentlich, dass die Vernunft am Ende wieder die Überhand gewinnt, sagt Étienne de Callataÿ. Nur: Er sei natürlich auch kein Hellseher. Aus seiner Sicht sei die Gemengelage aber nicht so explosiv, dass ein wirklicher Crash droht - kein Grund zur Panik.
Roger Pint