Schweden hat nach mehr als 100 Jahren die Wehrpflicht abgeschafft. Seit Donnerstag muss die Armee des skandinavischen Landes ihr Personal ausschließlich aus Freiwilligen rekrutieren. Praktisch unbeachtet von der Öffentlichkeit hob der Stockholmer Reichstag den 1901 eingeführten militärischen Zwangsdienst auf Betreiben der Mitterechts-Regierung von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt auf.
Die schwedische Opposition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken hatte Mitte Juni im Parlament für die Beibehaltung der Wehrpflicht gestimmt. Reinfeldts Lager setzte sich knapp mit 153 zu 150 Stimmen durch. Als offen gilt, ob die sozialdemokratische Parteichefin Mona Sahlin im Falle eines Wahlsiegs im September das bisherige System wieder einführt.
Zuletzt waren nur noch knapp 15 Prozent der wehrpflichtigen Männer zum elfmonatigen Grundwehrdienst eingezogen worden. Pro Jahrgang gibt es etwa 60.000 wehrpflichtige Männer. Die Armeeführung beziffert nun ihren Personalbedarf auf jährlich 4000 bis 6000 Freiwillige bei einer Truppenstärke von gut 15.000 Soldaten.
Der konservative Verteidigungsminister Sten Tolgfors begründete das neue System vor allem mit der total veränderten Sicherheitslage nach dem Ende des Kalten Krieges. Noch bis 1990 hielt Schweden 750.000 Männer und Frauen unter insgesamt 9,4 Millionen Einwohnern als Reservisten für den Fall einer sowjetischen Invasion einsatzbereit.
Zur jetzigen Lage meinte Tolgfors: «Schwedens Fähigkeit zur Selbstverteidigung wird durch die Professionalisierung mit vertraglich gebundenen Soldaten erhöht.» Das Regierungslager begründet die Professionalisierung der Armee auch mit den Anforderungen bei Auslandseinsätzen wie in Afghanistan. Dagegen warnten die Sozialdemokraten vor der Gefahr einer gesellschaftlichen Sonderrolle und Verselbstständigung des Militärs.
Die tonangebende liberale Stockholmer Zeitung «Dagens Nyheter» meinte am Donnerstag: «Der gesamteuropäische Trend zur Berufsarmee ist nur natürlich. Die technische Entwicklung verlangt besser ausgebildetes Personal und den längeren Verbleib von kompetenten Leuten im Militär.»
Thomas Borchert (dpa) - Bild: epa