Fast wie ein Heiland war er gekommen. Von der Wolkenkratzerstadt Chicago gestartet und ins Weiße Haus gewählt, wollte Barack Obama ein ganz anderes Amerika bauen: fairer, toleranter, bunter, weltoffener. Acht Jahre hatte er Zeit. Er scheiterte oft, verpasste manches und erreichte dennoch viel. Am Ende muss er retten, was zu retten ist.
In Chicago, dort wo er herkam, hält er nun seine letzte große Rede. Das Wort «Wir» soll darin oft vorkommen, wird erzählt. «Wir, das Volk.»
Barack Obama, der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten, packt die Koffer. «Yes, we can» war einst sein Wahlkampfmotto. Obama der Macher, der Problemlöser, der Menschenfreund. Aber auch der jugendlich-sportliche Präsident mit der coolen Familie, modern und vorwärtsblickend, vorzeigbar.
Die Bilanz seiner Präsidentschaft fällt gemischt bis nüchtern aus. Obama machte vieles richtig, doch auch persönliche Fehler, hörte auf die falschen Leute - und stieß schließlich im vielfach politisch verkrusteten Washington auf Granit.
Ob Obama nun ein guter Präsident war oder ein mittelmäßiger oder gar ein schlechter, wie es trotz erstklassiger Zustimmungswerte von bis zu 58 Prozent aus konservativen Kreisen tönt: Es ist eine Frage der Interpretation.
Obama ließ den Terrorfürsten Osama bin Laden töten: Militärische Brillanz oder politische Dummheit? Obama führte erstmals eine flächendeckende Gesundheitsversorgung ein: Teure Ideologie oder Geniestreich eines Sozialreformers? Obama schloss Frieden mit Kuba: Politisch gefährliche Großzügigkeit oder Heldentat eines Friedensengels? Vermutlich werden das Urteil erst Geschichtsschreiber fällen können.
Dass er die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte, war schon am Tag eins seiner Präsidentschaft klar. «Das hätten zehn Präsidenten nicht schaffen können», urteilte die israelische Zeitung «Haaretz». «Statt die demokratische Kongressmehrheit zu nutzen, um Klimaschutz und Waffengesetze voranzubringen, hat er sich mit Obamacare (seiner Gesundheitsreform) verstrickt», sagt der konservative Kolumnist Eric Ericksson. «Das hat seine Demokratische Partei zerstört.»
Unbestritten ist, dass Obama bei seinem Amtsantritt 2009 einen Scherbenhaufen von seinem republikanischen Vorgänger George W. Bush übernommen hatte. Zum Ende seiner Amtszeit hatte der Republikaner praktisch abgewirtschaftet. Seine Zustimmungswerte waren auf einem historischen Tief, die US-Wirtschaft steckte in einer tiefen Krise. Bush hatte mit seinem ungerechtfertigten Eingriff im Irak dem Ruf der USA international schwer geschadet und kein Konzept für Afghanistan.
Obama übernahm: Die Vorschusslorbeeren waren riesig, wohl auch, weil die Welt glaubte, es könne nur besser werden. Ein paar Reden reichten, um Obama zum Träger des Friedensnobelpreises zu machen. «Wofür?», fragte die Opposition in Washington, und selbst der Geehrte schien ein wenig verlegen.
Obama kündigte den Wandel an, Amerika sollte in der Welt nicht mehr als der gefräßige Wolf wahrgenommen werden, sondern als ein potenter Freund. Selbst in der Klimapolitik schwenkten die USA auf die Linie des restlichen Westens ein. Doch das war gefährlich.
Heute ist klar: Obamas militärischer Abzug aus dem Irak kam zu früh, das Vakuum füllten Terroristen. Die Führungsrolle im Libyen-Konflikt nach dem Sturz Gaddafis überließ er zwei schwachen Partnern: Nicolas Sarkozy (Frankreich) und David Cameron (Großbritannien). In Libyen herrscht Chaos. China konnte Obama nur schwer in Schach halten, den russischen Präsidenten Wladimir Putin gar nicht.
«Acht Jahre wurde Amerika von einem Präsidenten regiert, der unser Land nach außen systematisch kleinredete», schreibt Jeff Jacoby im «Boston Globe». Innenpolitisch gelang ihm die Aufräumarbeit besser: Die Finanzkrise wurde überwunden, die gierigen Finanzjongleure an die Leine genommen. In acht Jahren hat Obama die Arbeitslosigkeit halbiert und die US-Wirtschaft wieder so auf die Beine gestellt, dass die Notenbank die Zinsen erhöhen kann.
Sein wichtigstes Ziel erreichte Obama nicht: Er wollte die Spaltung der Amerikaner überwinden. Unter Obama erschossen weiße Polizisten unschuldige Schwarze - da half es auch nicht, dass der Präsident medienwirksam «Amazing Grace» sang und öffentlich Tränen vergoss. Unter Obama wuchs die Kluft zwischen der Landbevölkerung im Mittleren Westen und den Metropolen an den Küsten.
Auch unter Obama wurden Reiche reicher und Arme ärmer. Auch nach Obama hat Amerika ein Bildungsproblem, das in ein Wohlstands- und Gesundheitsgefälle mündet.
Gescheitert ist Obama - er ist nicht der erste US-Präsident - auch im Nahen Osten. Die Deutungshoheit über Syrien hat inzwischen Wladimir Putin, zu dem das Verhältnis zuletzt immer schlechter wurde. Ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern ist weiter entfernt denn je. Benjamin Netanjahu, ein Rechtsaußen an der Macht in Israel, und der liberale Obama - das konnte nicht gut gehen. Immerhin hat die schwindende Rücksicht auf Israel dazu geführt, dass Obama den Atomdeal mit dem Iran durchboxte - und die USA auch offiziell aussprachen, was Generationen von US-Regierungen nur hinter vorgehaltener Hand munkelten: Israel muss endlich seine Siedlungspolitik ändern, wenn es einen Frieden in Nahost geben soll.
Dass Obama ganz am Ende seiner Präsidentschaft noch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat gegen den engen Verbündeten Israel durchwinkt - es passt ins Bild der Obama-Jahre, in denen es ihm nie leicht gemacht wurde. Höchstpersönlich sorgt er nun dafür, dass auch sein Nachfolger sein Säcklein zu tragen haben wird. Obamas letzte Amtshandlungen - von Israel bis zum Bohrverbot in der Arktis - waren allesamt Knüppel zwischen den Beinen von Donald Trump.
dpa/jp - Bild: Mandel Ngan (afp)