In den Niederlanden wird heute ein neues Parlament gewählt. Den Christdemokraten des amtierenden Regierungschefs Balkenende werden herbe Verluste vorausgesagt. Seine Koalition war Ende Februar an der Afghanistan-Frage gescheitert. Mehr ...
Umfragen zufolge kann die liberale VDD damit rechnen, stärkste Kraft im Land zu werden. Die Partei hat ein radikales Sparprogramm versprochen. Ihr Parteichef Rutte könnte der erste liberale Ministerpräsident der Niederlande seit fast hundert Jahren werden.
Allerdings schrumpfte der Abstand der VVD auf die Partei der Arbeit (PvdA) bei letzten Umfragen teils auf drei Mandate zusammen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Liberalen und Sozialdemokraten wurde nicht mehr ausgeschlossen.
Die umstrittene Partei für Freiheit (PVV) des rechtspopulistischen Islamkritikers Geert Wilders könnte den Umfragen zufolge ihre Mandate verdoppeln und dadurch viertstärkste politische Kraft nach Rechtsliberalen, Sozial- und Christdemokraten werden. Dabei könnte eine Rechts-Koalition unter Beteiligung von Wilders möglich werden.
Zur Wahl sind rund 12,5 Millionen Niederländer aufgerufen. Es ist die erste Wahl in einem Euro-Land seit Ausbruch der Schuldenkrise.
Pikantes am Rande
Ein Schwulenmagazin auf dem Wohnzimmertisch, daneben Bodylotion. In der Küche ein Poster mit den strammen Jungs der - ausgerechnet - deutschen WM-Nationalelf. Dazu eine zärtliche Mama, die Liberalenchef Mark Rutte die Single-Bude aufräumt. Bei Hollands Parlamentswahlen sorgte am Mittwoch ein Videoclip für Aufregung, der den Spitzenkandidaten der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) als homosexuelles, deutschenfreundliches Muttersöhnchen darstellt. Ob Rutte dadurch der ohnehin nur als knapp vorausgesagte Sieg genommen werden könnte, war ein heiß diskutiertes Thema des Wahltags.
Doch schädlich war das umstrittene Video womöglich eher für den Spitzenmann der Sozialdemokraten, Job Cohen. Er ist im Abspann zu sehen, neben dem Spruch «Job Cohen. Für erwachsene Niederlande». Kaum war der Clip auf der populären Satire-Website Stemhok.nl erschienen, wurden Vorwürfe laut: Frühere Mitarbeiter Cohens in dessen Zeit als Amsterdamer Bürgermeister hätten das Video produziert und ins Internet gebracht.
«Ich finde das würdelos und distanziere mich davon», erklärte Cohen, sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht. Produzent Remco Asselberg, der einst als PR-Berater für Cohen arbeitete, beteuerte: «Das war nur Humor, ein rein satirischer Kommentar.» Doch im bürgerlichen Lager war von einem dreisten und verlogenen Versuch die Rede, christlich-konservative Wähler von der Stimmabgabe für den unverheirateten Liberalen abzubringen.
Harte Bandagen
In einem Land, das früher als andere Homosexualität als normal akzeptierte, wirkte der Streit zunächst überraschend. Doch er macht deutlich, wie weit in Zeiten der Schulden- und Eurokrise die Polarisierung im früher so sehr für Pragmatismus und Kompromissbereitschaft gerühmten Holland vorangeschritten ist. Es ging um eine Richtungswahl mit durchaus harten Bandagen, bei der sich Kandidaten von links bis rechts - teils in für Holland ungewöhnlicher Schärfe - vorwarfen, Wähler hinters Licht zu führen.
Dabei warb Rutte für einen konsequent wirtschaftsliberalen und unternehmerfreundlichen Kurs, eisernes Sparen - auch bei Sozialleistungen und der Entwicklungshilfe - und Steuersenkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Nur insofern gilt der 43-Jährige - der im übrigen nach eigenem Bekunden Frauen «betörend» findet, nur halt mit keiner die Wohnung teilen möchte, als eine Art holländischer Guido Westerwelle.
Und Geert Wilders?
Ansonsten steht Rutte deutlich weiter rechts im Spektrum bürgerlich-liberaler Traditionen. Wenn es darum geht, die Einwanderung armer Menschen einzudämmen oder die Polizei härter durchgreifen zu lassen, versteht er sich durchaus mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders, der einst Ruttes Partei angehörte. Dass Wilders Mitglied einer Mitte-Rechts-Regierung mit der VVD und den Christdemokraten wird, hielten viele für wahrscheinlich.
Dem «knallharten und eiskalten» Holland, das eine solche Koalition verkörpern würde, hielt Job Cohen seine Alternative einer sozial gerechten Sparpolitik gegenüber, die zuerst die Reichen zur Kasse bittet. Er wollte «in Krisenzeiten das Land zusammenhalten» und signalisierte dafür, falls kein reines Links-Kabinett möglich wäre, politische Kompromissbereitschaft.
Allerdings schloss Cohen jegliches Zusammengehen mit den Rechtspopulisten aus. Vielleicht war das kurzsichtig. Dass Wilders' politische Zukunft erst begonnen hat, deutete sich einen Tag vor der Wahl an: Bei der vom Institut für Publizistik und Politik (IPP) traditionell veranstalteten Testwahl an fast 400 Schulen mit 180.000 Mädchen und Jungen im ganzen Land wurde Wilders klarer Sieger, dicht gefolgt vom Rechtsliberalen Rutte. Sozialdemokrat Cohen kam bei der Schuljugend nur auf den dritten Platz.
Thomas Burmeister (dpa) - Bild:epa