Nach einem monatelangen Machtkampf ist Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff des Amtes enthoben worden. Der Senat in Brasília votierte am Mittwoch mit der notwendigen Zwei-Drittel- Mehrheit für die Absetzung der ersten Frau an der Spitze des fünftgrößten Landes der Welt. Insgesamt stimmten 61 Senatoren dafür und 20 dagegen. Nachfolger wird der bisherige Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), der das Land mit einer liberal-konservativen Regierung nun bis zur nächsten Wahl Ende 2018 führen wird.
Rousseff (68) wurden Trickserien zur Schönung des Staatsdefizits und vom Kongress nicht genehmigte Kreditvergaben vorgeworfen - vor allem wurde ihr aber angelastet, kein Rezept gegen die tiefe Rezession zu haben. In einer ersten Reaktion betonte sie, 61 Senatoren würden sie aus dem Amt drängen, obwohl sie 2014 von 54,5 Millionen Menschen wiedergewählt worden sei. "Das ist ein parlamentarischer Putsch, mit Hilfe einer juristischen Farce".
Rousseff: "Parlamentarischer Putsch"
"Das ist der zweite Staatsstreich, den ich in meinem Leben erleben muss", sagte sie in Anspielung auf den Militärputsch in Brasilien 1964 - Rousseff agierte damals als Guerillakämpferin im Untergrund, kam in Haft und wurde gefoltert. Der rechts-konservative Abgeordnete Jair Bolsonaro twitterte hingegen in Anspielung auf Rousseff und die Linken: "Sie haben 1964 verloren und sie haben 2016 aufs Neue verloren".
Temers PMDB hatte die Koalition platzen lassen, ein Bündnis der PMDB mit Oppositionsparteien brachte die notwendigen Mehrheiten für das umstrittene Impeachment-Verfahren zustande. Im Mai wurde Rousseff zur Prüfung der Vorwürfe zunächst suspendiert, in den letzten Tagen fand der juristische Prozess im Senat statt. Vor der Abstimmung hatten die Senatoren in einer rund 15-stündigen Marathonsitzung ihre Beweggründe für das Votum erläutert.
Damit steht das Land nach 13 Jahren linker Regierung vor einem Politikwechsel. Aber Temer ist nicht viel beliebter: Bei Wahlen hätte er keine Chance und wegen illegaler Spenden darf er nach einer Gerichtsentscheidung ohnehin acht Jahre lang nicht bei Wahlen als Kandidat antreten. Nach der formalen Amtsübergabe im Kongress wollte nach Chinna reisen, zum G20-Gipfel. Im Senat war es wegen neuer Anträge von Seiten der linken Arbeiterpartei immer wieder zu Verzögerungen gekommen - nach dem Votum gab es Jubel, in Brasília waren Böllerschüsse zu hören, Autos hupten.
Das Land ist in Rousseffs 2011 begonnener Präsidentschaft in eine tiefe Rezession gerutscht, 11,8 Millionen Menschen sind aktuell arbeitslos. Ein Grund für die Krise ist auch der Verfall der Rohstoffpreise. Zudem lähmten Korruptionsskandale das Land und brachten das im Jahr 2003 von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gestartete linke Projekt der Arbeiterpartei in Misskredit.
Spannungen in Südamerika nach Rousseff-Absetzung
Temer will mit Privatisierungen und Kürzungen im Staatsapparat die neuntgrößte Volkswirtschaft aus der Krise führen - und einen Politikwechsel einleiten. Die Arbeiterpartei warnt vor einem Comeback des Neoliberalismus. Das Renteneintrittsalter könnte heraufgesetzt und Sozialprogramme gekürzt werden. Um das Defizit in den Griff zu bekommen, ist eine Schuldenbremse geplant.
In Brasiliens Geschichte hatte es so ein Verfahren erst einmal gegeben. Wie Rousseff wurde 1992 Fernando Collor de Mello suspendiert. Ihm wurde Korruption zur Last gelegt. Collor de Mello trat aber vor dem Senatsvotum zurück. Er ist heute Senator und gehörte damit auch zum Kreis der "Richter". Temer, der an den Finanzmärkten mehr Vertrauen genießt, wird von vielen als das kleinere Übel angesehen. Für die von einer Mehrheit als Ausweg gewünschten Neuwahlen sind die Hürden in der Verfassung hoch.
Nach der umstrittenen Absetzung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist es zu Spannungen mit mehreren südamerikanischen Staaten gekommen. Der Botschafter in Venezuela wurde zu Konsultationen zurück nach Brasilien berufen. Das teilte das Außenministerium mit. Außerdem verbitte man sich die Einmischung in innere Angelegenheiten von Seiten Kubas, Boliviens und Ecuadors.
dpa/est - Bild: Evaristo Sa/AFP