Als Yukio Hatoyama, der Spross einer Politiker- und Industriellendynastie, im vergangenen August mit seiner Demokratischen Partei DPJ einen historischen Wahlsieg errungen und die konservative Liberaldemokratische Partei LDP nach mehr als 50 Jahren fast ununterbrochener Herrschaft von der Macht verdrängt hatte, stand die Mehrheit des Volkes hinter dem Reformer. Hatoyama trat als Idealist auf, als einer, der es gut mit allen meint. Doch eines ließ er stets vermissen: Als Premier Führungskraft zu zeigen.
Hatoyama hatte seine Politik unter das Motto «yuai» gestellt, das sich in etwa mit «Brüderlichkeit» übersetzen lässt. Mit wohlklingenden Schlagworten wie «Das Volk zuerst» wollte er die Art des Politikmachens im Lande grundlegend verändern. Hatoyama wusste, dass die Menschen die Nase voll hatten von jahrzehntelanger Vetternwirtschaft, Skandalen und Trägheit der herrschenden LDP. So voll, dass sie es wagten, einer völlig regierungsunerfahrenen Partei die Führung des Landes zu übertragen. Für Japan geradezu eine Revolution.
Keine harten Bandagen
«Hatoyama hat versucht, es möglichst vielen Menschen Recht zu machen und möglichst viele Meinungen zu hören und in seine Entscheidungsfindung einzubinden», erklärt Axel Klein vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Doch Hatoyama musste erfahren, dass das so nicht geht, wenn man Premier ist. Hatoyama fehlten schlicht die nötigen harten Bandagen im Machtzentrum der zweitgrößten Wirtschaftsnation. Er hat seinem Volk im guten Glauben Versprechungen gemacht, von denen er jedoch viele nicht einhalten konnte. Das ist in anderen Staaten nichts besonders. In Japan aber, wo man Wahlprogramme der Parteien erst seit 1996 kennt, nehmen die Menschen solche Versprechen noch wörtlich. Und scheinbar auch Hatoyama selbst.
Dabei war Beobachtern von vornherein klar, dass die neue Regierung nicht alles wird gleich umsetzen können. Dafür ist bei einer Staatsverschuldung von rund 200 Prozent des BIP gar kein Geld da. Auch in der Frage der Verlegung des US-Luftwaffenstützpunktes Futemma auf Okinawa wollte es Hatoyama möglichst vielen Recht machen. Er versprach den Menschen, zu versuchen, die Basis von Okinawa abzuziehen, doch haderte er, Entscheidungen zu treffen. Als er schließlich beschloss, die Basis müsse aus sicherheitspolitischen Gründen auf Okinawa bleiben, verweigerte der Koalitionspartner die Gefolgschaft.
Der Sargnagel
Hatoyama blieb hart und schloss seine sozialdemokratische Ministerin aus dem Kabinett aus. Doch statt dies als Entscheidungsfreudigkeit zu werten, legten ihm die Medien des Landes das als Sargnagel aus. Die Geduld der Medien mit Hatoyama war am Ende. Das allein jedoch hätte nach Ansicht von Beobachtern innerhalb Hatoyamas eigener Regierungspartei nicht gereicht, ihn zu stürzen. Wäre da nicht die tiefsitzende Abneigung gegenüber seinem Partei-Generalsekretär Ichiro Ozawa. Einem Mann, der im Ruf steht, kein sauberer Politiker zu sein, der schon in der einstigen Regierungspartei LDP die Strippen zog und alten Regeln folgt.
Hatoyama und Ozawa sind beide in Finanzskandale verwickelt. Etwas, was eigentlich unter der DPJ aufhören sollte. Nie verlor Hatoyama über Ozawa ein böses Wort. Zunehmend verfestigte sich der Eindruck, dass Ozawa der eigentliche Strippenzieher ist. Immer mehr wurden beide zur Belastung für die Partei. Nun forderte Hatoyama persönlich Ozawa auf, mit ihm gemeinsam zurückzutreten. Hatoyamas Rückzug von der Macht mag daher selbst am Ende noch Ausdruck seines Idealismus sein, seiner Partei und so letztlich seinem Land Gutes tun zu wollen.
Ein Machtwechsel ist dies gleichwohl nicht, denn die DPJ hat im mächtigen Unterhaus des nationalen Parlaments, das allein für die Wahl des neuen Premiers maßgeblich ist, weiter eine satte Mehrheit. Die Chance besteht aber jetzt für sie, mit einem frischen Image in die Oberhauswahl im Juli zu gehen und die dortige Mehrheit zu verteidigen, die sie für eine reibungslose Gesetzgebung benötigt.
Lars Nicolaysen (dpa) - Bild: epa