Bücher, Schallplatten, altes Porzellan - noch am Samstag haben Hunderte Göttinger beim Flohmarkt auf dem Schützenplatz um Trödelkram gefeilscht. Drei Tage später hat dort eine Zehn-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg drei Menschen in den Tod gerissen und weitere sechs verletzt, einige von ihnen schwer. Die Sprengstoffexperten wollten den Blindgänger am Dienstagabend entschärfen, sie hatten mehrere Jahrzehnte Erfahrung in diesem brisanten Job. Doch eine Explosion zerfetzte ihre Körper.
Bomben wie die in Göttingen schlummern in Deutschland noch immer überall in der Erde, auch wenn der Zweite Weltkrieg seit 65 Jahren vorbei ist. Starben in den ersten Nachkriegsjahren noch relativ viele Menschen beim Versuch, Blindgänger unschädlich zu machen, so schien die Entschärfung in den vergangenen Jahren zur Routine geworden.
Jahrelange Erfahrung und modernste technische Hilfsmittel
Allein in Niedersachsen kümmern sich 55 Mann um diese Arbeit - rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Nur äußerst selten kommen Menschen durch Blindgänger ums Leben, etwa wenn Bauarbeiter beim Baggern unverhofft auf einen gefährlichen Sprengsatz stoßen. An ein vergleichbar schlimmes Unglück in Niedersachsen in den vergangenen 25 Jahren kann sich am Mittwoch niemand erinnern. Beim Entschärfen werden immer modernere technische Hilfsmittel benutzt. In Göttingen etwa sollte ein neuer ferngesteuerter Spezialroboter mit einem Wasserschneidegerät eingesetzt werden, doch dazu kam es nicht mehr.
Zunächst schien alles Routine zu sein. Bereits in der vergangenen Woche war auf dem Baugelände für die neue Sportarena eine erste Weltkriegsbombe entdeckt worden. Die Kampfmittelbeseitiger hatten den mit einem Säurezünder versehenen Sprengsatz mit dem Wasserschneidegerät unschädlich gemacht. Auch vor ihrem zweiten Einsatz auf dem Schützenplatz gaben sich die Experten optimistisch. «Wir kriegen das Ding schon hin», sagte einer der Männer der Nachrichtenagentur dpa am Nachmittag. Am Abend war er tot.
Was ging schief?
Wird die Gefährlichkeit von Blindgänger inzwischen unterschätzt? Im Grundsatz wohl nicht, schließlich wird jedes Mal das Gelände unmittelbar um den Bombenfundort evakuiert. In Göttingen mussten 7000 Menschen ihre Häuser verlassen. Auch die Spezialisten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes haben Respekt vor jeder einzelnen Bombe, besonders vor denen mit den hochgefährlichen Säurezündern.
Was also ging schief in Göttingen? «Wie es zu dem Unglück gekommen ist, wissen wir noch nicht», sagt Göttingens Kripochef Volker Warnecke. «Aber die Explosion muss gewaltig gewesen sein.» Die Einsatzkräfte wollten nur noch die Durchfahrt des letzten ICE auf der nahen Bahnstrecke abwarten, dann sollte die Bombe gegen 22.45 entschärft werden, sagt Polizeipräsident Robert Kruse. Der Blindgänger war bereits freigelegt und lag in sieben Metern Tiefe in einer ausgebaggerten Grube. Um 21.36 Uhr kam es überraschend zur Detonation. Der Knall war so laut, dass Zeugen ihn noch in mehreren Kilometern Entfernung hörten.
Matthias Brunnert & Sigrun Stock (dpa) - Bild: epa