Die Mehrheit der spanischen Fans ist gegen ihn, doch der nationale Verband RFEF will trotz des Vorrunden-K.o. bei der Weltmeisterschaft in Brasilien an Trainer Vicente del Bosque festhalten. "Uns würde es gefallen, dass er bleibt. Sein Vertrag läuft bis zur EM in Frankreich", sagte RFEF-Generalsekretär Jorge Pérez in der Nacht zum Freitag dem Madrider Radiosender Cope und durchbrach damit die Funkstille seiner Funktonärskollegen. "Del Bosque hat nicht seinen Rücktritt eingereicht. Sollte er es tun, werden wir ihn darum bitten, weiterzumachen."
Der auch in schwierigsten Situationen meist gesprächsbereite del Bosque hatte keine Lust, sich nach der Rückkehr ins WM-Quartier nach Curitiba schon wieder den Medien zu stellen. Dafür äußerte sich Pérez in aller Deutlichkeit. Del Bosque als Nationalcoach zu haben, sei ein Luxus, betonte er. Er sei auch der richtige Mann für die mit großer Wahrscheinlichkeit fällige Übergangsphase in der "selección". Noch habe der Verband aber nicht mit dem 63-Jährigen gesprochen.
In einer nicht repräsentativen Online-Umfrage sprachen sich allerdings fast 70 Prozent der Befragten für eine Ablösung des Trainers aus Salamanca aus. An der Umfrage beteiligten sich nach Angaben der Zeitung etwa 150.000 Internet-User. Angesichts der nicht enden wollenden Diskussionen um den Coach hatte es fast schon symbolischen Charakter, dass das erste leichte Training im CT do Caju bei unangenehm feuchter Kälte und frischem Wind stattfand. Mit nur neun Grad war es der kälteste Tag, seit die Spanier am Pfingstmontag in Brasiliens Regen-Hauptstadt eintrafen.
Verbandspräsident Àngel Maria Villar nahm bisher weder zum desaströsen Abschneiden des Teams Stellung noch zu del Bosques Andeutung, eventuell aufzuhören. "Es ist Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Das gilt auch für mich", hatte der Coach direkt nach dem 0:2 gegen Chile in Rio de Janeiro gesagt. Erst im November hatte er den seit 2008 laufenden Vertrag bis 2016 verlängert.
Angesichts der Sprachlosigkeit der Verbandsoberen vor Ort war es fast schon peinlich, dass Trainer konkurrierender Teams ihren allein gelassenen Kollegen unterstützten. Vor allem Ottmar Hitzfeld litt als "großer Bewunderer" del Bosques und des spanischen Fußballs mit. "Ich war sehr traurig, dass er mit Spanien ausgeschieden ist. Das ist nicht schön für die Weltmeisterschaft", sagte der Schweizer Nati-Coach. "Die Spanier haben in den letzten Jahren den Weltfußball beherrscht und alle mit ihrem Fußball erfreut."
Joachim Löw war "natürlich auch überrascht, dass die Spanier jetzt nach zwei Spielen ausgeschieden sind. Ich halte Spanien noch für eine sehr gute Mannschaft mit klasse Spielern." Der deutsche Bundestrainer hatte dem Champion - wie wohl die ganze Fußball-Welt - mehr zugetraut: "Vielleicht nicht immer, dass sie den Titel gewinnen können, aber dass sie über die Gruppenphase hinauskommen." Italiens Cesare Prandelli sagte, er habe "großen Respekt" vor Spanien. "Sie werden in einiger Zeit wieder gewohnt stark zurückkommen."
Ob mit oder ohne del Bosque, wird sich erst nach der Copa do Mundo klären. Der Weltmeister von Südafrika und Europameister von 2012 will die Lage in Ruhe analysieren. Zudem entspricht es dem Stil der sympathischen Persönlichkeit, schon aus Respekt vor dem Turnier und dem ebenfalls vorzeitig ausgeschiedenen Abschlussgegner Australien eine Entscheidung erst danach mitzuteilen.
Es liegt primär an del Bosque, ob er den dringend notwendigen Umbau bis zur EM 2016 vornehmen will oder dies lieber einem Nachfolger überlässt. Villar hat in 26 Jahren Amtszeit noch keinen Trainer entlassen. Vom Verband wird er nicht zum Abschied gedrängt. Im Gegenteil: "Ich möchte, dass er weitermacht", bekräftigte Pérez. Es sei besser, etwas Zeit verstreichen zu lassen und die Angelegenheit in Ruhe in Madrid regeln.
dpa/okr Bild: Orlando Kissner (afp)