Für Fußballfans war Freitag, der 17. Juni 1994, ein wichtiger Tag. In Chicago wurde das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft ausgetragen. Deutschland spielte gegen Bolivien. Doch das Sportereignis vor 20 Jahren wurde in den USA von einem Morddrama völlig ins Abseits gedrängt.
An dem Tag wurde der damals 46-jährige US-Footballstar O. J. Simpson wegen Doppelmordes an seiner Ex-Frau Nicole und deren Freund Ron Goldman angeklagt. Tagelang war die grausige Messer-Bluttat bereits die Topnews in allen US-Medien.
Und dann kam der 17. Juni, als Simpson sich nach einer Vereinbarung mit der Polizei freiwillig den Behörden stellen sollte. Doch er tauchte unter und löste damit eine Großfahndung aus. Sie gipfelte in einer Verfolgungsjagd, die rund 95 Millionen Menschen in den USA, aber auch im Ausland live im Fernsehen mitverfolgten.
Am Steuer von Simpsons weißem Ford Bronco saß sein früherer Teamkamerad und bester Freund Al Cowlings, während sich Simpson auf dem Rücksitz eine Pistole an die Schläfe hielt. Helikopter und Dutzende Polizeiautos verfolgten den Flüchtigen eineinhalb Stunden auf einer Strecke von rund 100 Kilometern. Hunderte Autofahrer stoppten am Seitenstreifen, viele winkten und feuerten ihr Idol an. Gleichzeitig versuchten Freunde und Polizeipsychologen, Simpson per Funk zur Aufgabe zu überreden. Die Jagd endete vor der Villa des Stars in Los Angeles, wo er sich schließlich ergab.
Es war das TV-Spektakel schlechthin. Sogar Fußballfans schalteten von der WM-Übertragung immer wieder zu anderen Fernsehstationen, um keine Neuigkeiten über Simpson zu verpassen. Die Menschen klebten bei stundenlangen Live-Reportagen an ihren Bildschirmen. Heute hätte dieser Vorfall einen Twitter-Sturm ausgelöst und die Internetseiten der Sender zusammenbrechen lassen. So schossen die Einschaltquoten in die Höhe.
Nach einer Umfrage der Medienunternehmen Nielsen und Sony im Jahr 2012 belegt die Bronco-Verfolgungsjagd Platz sechs auf der Liste der denkwürdigsten Momente in der amerikanischen TV-Geschichte. Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 und Hurrikan Katrina im Jahr 2005 führen die Liste an. Auf Platz drei kommt die Verlesung des Urteils gegen O. J. Simpson.
Nicht schuldig!
Das rund acht Monate lange "Jahrhundert-Verfahren", das im Januar 1995 begann, wurde von TV-Kameras aus dem Gerichtssaal bis in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer übertragen. Es war ein Duell zwischen dem Verteidiger-Dream-Team um Staranwalt Johnnie Cochran und den von der resoluten Marcia Clark angeführten Anklägern. Der "Simpson-Hype" ging unvermindert weiter, bis die Geschworenenjury am 3. Oktober zur Überraschung vieler Rechtsexperten ihr Urteil verkündete: "Nicht schuldig!" Die Beweise in dem Indizienprozess reichten nicht aus.
Unvergesslich ist die dramatische Prozessszene, als die Staatsanwaltschaft Simpson den am Tatort entdeckten Handschuh anprobieren ließ, der ihn des Mordes überführen sollte. Doch der "Täterhandschuh" erwies sich im Gerichtssaal als zu klein für Simpson.
Umfragen von damals und heute zeigen, dass die meisten Amerikaner den einst strahlenden Sporthelden und Schauspieler ("Die nackte Kanone") für den Täter halten. 1997 verlor er einen von den Hinterbliebenen der Opfer angestrengten Zivilprozess und wurde zur Zahlung von über 30 Millionen Dollar an die Angehörigen verurteilt, er hat bisher aber kaum einen Cent bezahlt.
Für die Angehörigen gab es aber eine späte Genugtuung, und für Simpson endete vorläufig sein Golfer-Leben in Florida: 2007 drang Simpson zusammen mit fünf Komplizen in ein Hotelzimmer in Las Vegas ein und zwang zwei Sammler von Fan-Artikeln mit Waffengewalt, ihm persönliche Erinnerungsstücke zu geben. Ein Gericht brummte ihm 2008 wegen bewaffneten Raubes und Körperverletzung eine Mindeststrafe von neun Jahren auf.
Ergraut und deutlich schwerer erschien Simpson in Handschellen und blauer Anstaltskleidung vor einem Jahr vor Gericht. Der heute 66 Jahre alte frühere Sport- und Fernsehstar hatte sich vergeblich um einen neuen Prozess und eine kürzere Strafe bemüht.
Von Barbara Munker, dpa - Bild: Mike Nelson/AFP