Wenn die Somalierin Waris Dirie über ihre Sache spricht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund. "It is fucking unacceptable for me"(etwa: Es ist verdammt nochmal inakzeptabel für mich), ruft sie und meint damit die fortgesetzte Genitalverstümmelung der Frauen in ihrem Herkunftsland und weltweit - auch in Europa. Als Fünfjährige wurde Dirie beschnitten. Sie verließ ihre Heimat, wurde zu Supermodel, Bestsellerautorin und Menschenrechtsaktivistin. Heute ist sie österreichische Staatsbürgerin.
Dirie stammt aus einer muslimischen Nomadenfamilie. Sie ist eine Frau ohne Alter: In der Wüste wird kein Geburtstag notiert. Ihre Eltern können nicht schreiben. Um die 40 müsse sie sein, sagt sie. Mit etwa 13 floh sie vor einer Zwangsverheiratung. Als Kind habe sie verstanden: "Irgendwas ist hier nicht richtig". Sie kam bei ihrem Onkel, Botschafter in London, unter - der ließ sie putzen. Sie habe nicht zur Schule gehen dürfen. Später lebte sie teils auf der Straße und wurde beim Putzen in einem Schnellrestaurant von dem Starfotografen Terence Donovan entdeckt - es begann eine fulminante Karriere auf den Laufstegen in London, Mailand, Paris und New York.
1997 erstmals über ihr Schicksal gesprochen
1997, auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn, sprach sie erstmals über ihr Schicksal und sorgte damit weltweit für Aufsehen. Waris bedeutet Wüstenblume. Ihre gleichnamige Autobiografie wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt, weltweit elf Millionen mal verkauft. 2002 gründete sie die Stiftung Desert Flower mit Sitz in Wien. 2009 kam der auf dem Buch basierende Film "Wüstenblume"in die Kinos - und erreichte abermals ein Millionenpublikum.
Die damals drei Jahre alte Safa Idriss Nour spielte die Rolle der Waris. Safa wurde nicht beschnitten. Diries Stiftung finanziert Safas Schule und versorgt ihre 20-köpfige Familie mit gut 6000 Euro jährlich. Aber Safa ist die Ausnahme. Alle Mädchen in ihrer Heimat seien beschnitten, sagt Dirie. "Es hat sich in all den Jahren nichts geändert. Das bringt mich um", ruft sie und reckt die schlanken Arme in die Luft.
Diries Stiftung will nun für jedes unbeschnittene Mädchen 350 Euro im Jahr zahlen. Dafür müssen die Kinder regelmäßig zum Arzt und die Mütter zur Aufklärung. "Bildung ist das Wichtigste. Aber wenn die Eltern keine Bildung haben, wie soll sich etwas ändern?"
Beschneidungen in meist muslimischen Ländern West- und Nordostafrikas
Betroffen sind vor allem Mädchen und Frauen in meist muslimischen Ländern West- und Nordostafrikas, wo die traditionelle Beschneidung Mädchen auf ihre Rolle als Frau und Mutter vorbereiten soll. Viele Mädchen sterben an dem Eingriff. Ein unbeschnittenes Mädchen könne kaum verheiratet werden - und die Familie bekomme kein Vieh. Die Menschen in Somalia seien arm. "Das Problem liegt aber tiefer, als ein paar Kühe zu bekommen."
Die Mütter seien es, die ihre Mädchen zu den Beschneiderinnen brächten. "Sie sagen: Was immer mir widerfahren ist, werde ich dir auch antun. Das ist krank", ruft Dirie wütend. "Ich habe meine Mutter gefragt: Warum hast du mir das angetan, du hast es doch selbst erlitten?"Ihre Mutter habe geantwortet, es sei eben einfach so. Dirie selbst ist alleinerziehende Mutter. Ihr älterer Sohn geht in den USA zur Schule, der kleinere lebt bei ihr und zwei adoptierten somalischen Kindern im polnischen Danzig.
15 Jahre ihres Lebens hat Dirie dem Kampf gegen die Verstümmelung gewidmet. Jetzt sehnt sie sich nach mehr. "Das Leben ist ein One-Way-Ticket, es gibt keinen Weg zurück."Ein Kinderbuch schreiben und die Schauspielerei versuchen - das sind nur zwei Ideen. "Ich bin zwischen 35 und 55 Jahre alt - aber ich fühle mich wie 20."
Sabine Dobel, dpa - Bild: Peter Hudec (afp)