Ein Jahr nach dem umstrittenen Gerichtsurteil gegen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko steuert die gespaltene Ukraine mit einer Parlamentswahl auf einen neuen Höhepunkt im Machtkampf zu. In dem für die EU wichtigsten Transitland für russisches Gas geht es um eine Entscheidung zwischen der Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko und der Führung um Staatspräsident Viktor Janukowitsch. Timoschenko, der Experten gute Chancen ausgerechnet hatten, wurde wegen einer siebenjährigen Haftstrafe nicht zur Wahl zugelassen.
Klitschko kämpft verbissen um die Macht in Kiew. "Janukowitsch hat die europäische Integration zur Priorität erklärt, aber seine Taten entsprechen nicht dem europäischen Geist", sagt der 41-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Beobachter sehen seinen Einsatz auch als Vorbereitung für eine Bewerbung bei der für 2015 geplanten Präsidentschaftswahl. Klitschko schließt eine Kandidatur nicht aus.
Regierungskoalition knapp vorne
Aktuelle Umfragen sehen die Regierungskoalition bei der Parlamentswahl am 28. Oktober knapp vorne. Schon jetzt ist klar, dass nach der Abstimmung eine starke Opposition im Abgeordnetenhaus sitzen wird. Dies unterscheidet das zweitgrößte Flächenland Europas von den meisten Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, in denen Regierungsgegner keinerlei Gestaltungsspielraum besitzen.
Beim wichtigen Partner Europäische Union ist das Image der Ukraine trotzdem am Nullpunkt angelangt. Der Westen schimpft besonders über das als politisch empfundene Timoschenko-Urteil. Die EU verweigert deswegen den Abschluss eines Assoziierungsabkommens.
"Alle Umfragen zeigen, dass die Opposition mit Timoschenko sehr viel mächtiger wäre", meint der Politologe Wadim Karassjow. Dies verstärkt den Eindruck, dass Janukowitsch hinter der Verurteilung seiner charismatischen Erzfeindin steckt. Der Präsident weist dies zurück. Der Streit überschattet schon jetzt die Präsidentschaft der renommierten Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die die Ukraine 2013 als zweite Ex-Sowjetrepublik übernimmt.
36,6 Millionen Wahlberechtigte
Insgesamt 36,6 Millionen Wahlberechtigte sind am kommenden Sonntag aufgerufen, die 450 Mandate in der Obersten Rada neu zu vergeben. 21 Parteien treten an, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Daneben bewerben sich rund 2600 Direktkandidaten. Außer Klitschko setzt die Opposition auf einen weiteren Sportler: Ex-Fußballstar Andrej Schewtschenko tritt für die kleinere Partei Ukraine - Vorwärts! an.
Aufwendig ließ die Regierung für umgerechnet 100 Millionen Euro in insgesamt 33.755 Wahllokale Webkameras einbauen - "um Fälschungen zu verhindern", wie die Wahlkommission betont. In der Ukraine waren zuletzt Wahlen von der OSZE stets als frei und fair anerkannt worden. Auch dies unterscheidet das Land von fast allen Ex-Sowjetrepubliken.
Die prowestliche Opposition beklagt jedoch schmutzige Tricks. Helfer seien angegriffen und Wahlbüros demoliert worden, heißt es. Zudem nutze Janukowitschs Partei der Regionen den Regierungsapparat für den Wahlkampf. Die OSZE unterstreicht, dass in Medien und bei Straßenwerbung fair jeder Partei Raum zur Selbstdarstellung gegeben wird.
In der mit Härte ausgetragenen Auseinandersetzung bekommen die Ukrainer aber keine Antwort auf die wichtigste Frage: Wohin steuert das politisch gespaltene Land? Die im wirtschaftlich schwächeren Westen verankerte Opposition will die Ukraine in die EU führen. Janukowitschs Partei dagegen, die vom bevölkerungsstarken russischsprachigen Osten des Landes gestützt wird, will auch auf Moskaus Interessen eingehen. Die Wiedereinführung von Russisch als zweiter Amtssprache in zahlreichen Regionen steht als Sinnbild dafür.
Die Ukraine befinde sich an einer "historischen Wegkreuzung", sagt der Politologe Oleg Warfolomejew. "Eine sauber verlaufende Wahl ist die letzte Chance für Janukowitsch, den Westen davon zu überzeugen, dass er dessen demokratische Werte teilt", meint der Experte.
Andreas Stein und Wolfgang Jung, dpa - Archivbild: Sven Hoppe (afp)