Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat sich bestürzt gezeigt, dass ihr enger Freund Oskar Pastior für den rumänischen Geheimdienst Securitate gearbeitet hat. Als sie davon vor einigen Wochen erstmals erfuhr, habe sie «Erschrecken, auch Wut» verspürt, sagte sie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Freitag).
«Es war eine Ohrfeige.» Ihre nächste Reaktion sei aber Anteilnahme und Trauer gewesen. Bei einer Lesung am Donnerstagabend in Berlin sprach Müller zwar über den Geheimdienst und Pastior, nicht aber über dessen Securitate-Verstrickung.
Die Schriftstellerin hat oft die Machenschaften des Geheimdienstes angeprangert, der zu Kommunismus-Zeiten unter Diktator Nicolae Ceausescu für Angst und Schrecken sorgte. In ihrem Roman «Atemschaukel» hat Müller Pastiors Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager nach dem Zweiten Weltkrieg nachgezeichnet. Nun kam heraus: Der 2006 gestorbene rumäniendeutsche Lyriker war von 1961 bis 1968 unter dem Decknamen «Otto Stein» Securitate-Informant. Das berichtete der Münchner Germanist Stefan Sienerth in der wissenschaftlichen Vierteljahresschrift «Spiegelungen».
Das Werk des Dichters muss nach Sienerths Ansicht nun neu gelesen werden. «Es bietet sich eine neue Lesart an», sagte der Leiter des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München der Nachrichtenagentur dpa. «Seine Lyrik hat eine eigenartige Bildlichkeit - und eine neue Untersuchung vor diesem Hintergrund ist bestimmt nicht uninteressant.» Müllers und Pastiors Werke erscheinen im Carl Hanser Verlag.

Verleger Michael Krüger sagte der «Süddeutschen Zeitung», bei Pastior habe stets die Angst im Vordergrund gestanden, «dass seine Homosexualität publik gemacht und er den gängigen Repressalien ausgesetzt werden würde». Dies dürfte ihn zu einem idealen Erpressungsopfer für die Securitate gemacht haben. Solange sich keine Denunziationen durch Pastior nachweisen ließen, gelte die Unschuldsvermutung, sagte Krüger.
Sienerth war bei seinen Recherchen in den Archiven der rumänischen Behörde zur Aufarbeitung der Securitate-Akten auf belastende Hinweise gestoßen - zu seiner großen Überraschung. «Ich hatte das nicht erwartet», sagte er. «Und die Wahrheit wollte ich natürlich nicht verschweigen.»
Das große Interesse an seiner Enthüllung überrasche ihn aber doch. Als Wissenschaftler sei ihm an einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema gelegen. «Man kann das natürlich nicht unter den Teppich kehren, aber man sollte nicht vergessen, dass die Verdienste Pastiors um die Literatur sehr groß sind.»
Aus den Unterlagen, die Sienerth entdeckt hat, gehe hervor, dass Pastior unter «unwahrscheinlichem politischen Druck» gestanden habe. Müller lernte ihren langjährigen Vertrauten in den 80er Jahren in Berlin kennen. Den rumänischen Dichter Mircea Dinescu erfüllt die nun zutage getretene Securitate-Vergangenheit seines Kollegen mit Trauer. Dennoch tut dies seiner Sympathie keinen Abbruch. «Gut, dass Pastior tot ist und seine Enttarnung nicht mehr erleben musste», sagte Dinescu der dpa.
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