Da war selbst die Eiserne Lady baff: Auf einem Parteitag der britischen Konservativen im Jahr 1977 fesselte ein 16-Jähriger die Delegierten mit einer flammenden Rede, riss die angestaubten Tories förmlich aus der Politlethargie. Margaret Thatcher merkte sich den Namen des jungen Rhetorik-Genies: William Hague. Die politische Karriere des Wunderkindes war nicht mehr aufzuhalten. Heute ist der neue Außenminister im Team von Tory-Chef David Cameron eine graue Eminenz. Er war maßgeblich an den Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen beteiligt und führt sein Land damit in die erste Koalitionsregierung seit dem Krieg.
Nix Europa, nix Obama
Für den Posten als Chefdiplomat galt Hague im Falle eines Tory-Wahlsieges schon lange als gesetzt. Im vergangenen Jahr hatte er bereits in einer Grundsatzrede seine außenpolitischen Visionen kundgetan. Europa kam darin kaum vor. Für Hague scheint die EU nicht viel mehr zu sein als eine reformbedürftige Körperschaft, ähnlich sieht er die Vereinten Nationen. Hague will sein außenpolitisches Augenmerk - so zumindest die Vision - stattdessen auf aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China und Russland richten.
Großbritannien hat schon unter Labour die Einführung des Euros verweigert, gehört nicht zum Schengen-Raum, und die Konservativen sind nicht Teil der Europäischen Volkspartei - die ablehnende Haltung Londons Brüssel gegenüber dürfte sich unter Hague als Außenminister kaum ändern. Auch mit den USA unter Barack Obama verbindet Hague ein eher distanziertes Verhältnis. In den 1990er Jahren galt er als Verfechter des konservativen Politikstils von George W. Bush.
Eine wechselvolle Karriere
Der Sprung ins Außenministerium ist für den Mann aus Yorkshire der Höhepunkt einer langen Politkarriere, die nicht ohne Brüche verlief. Nach dem Studium in Oxford war er für Unternehmen wie Shell und McKinsey tätig, ging dann schnell in die Politik und wurde außenpolitischer Berater. 1989 wurde er zum Abgeordneten gewählt und diente unter Premierminister John Major in mehreren Funktionen als Staatssekretär. In dieser Zeit lernte er auch seine Ehefrau Ffion kennen, damals Regierungsbeamtin in Wales.
Hague ist auch ein Kind jener Phase der britischen Konservativen, die als nicht sehr rosig in die Geschichtsbücher eingehen wird. Als er so richtig in die Regierungsarbeit eintrat, hatte Thatcher fast schon abgewirtschaft, ihr Nachfolger John Major wirkt aus heutiger Sicht wie der Verweser in einer Übergangszeit. Als dann 1997 Tony Blair einen Erdrutsch-Sieg feierte, wurde Hague im Alter von 36 Jahren neuer Tory-Chef - und blickte 13 Jahren Opposition entgegen.
Er, so dachten viele Konservative, war der einzige, der dem neuen Labour-Star in hitzigen Unterhaus-Debatten Paroli bieten konnte. Tatsächlich setzte Hague zunächst Zeichen. Als strammer Konservativer, eine harte Hand gegen Asyl-Betrüger propagierend und sich für Steuersenkungen einsetzend, sammelte er Punkte - verzettelte sich dann aber schnell in innerparteilichen Grabenkämpfen und Widersprüchen.
So war ausgerechnet die Zeit als Parteichef vielleicht seine politisch schwächste Phase. Für sein Anbiedern an junge Wähler machte ihn die britische Presse sogar lächerlich. Wegen einer umstrittenen Rede wurde er in die Nähe von Rassisten gerückt und musste zurückrudern. «Hague the Vague» (etwa: «Hague, der Mann ohne Konturen») titelten die Zeitungen. Spätestens im Wahlkampf 2001 verhedderte er sich vollends. Die Wahl ging in die Binsen und Hague trat schon am Tag nach der Abstimmung zurück - als bis dato einziger Tory-Chef in der Parteigeschichte, der nie Premierminister war.
Hague schüttelte sich kräftig, überbrückte die ersten Monate nach seiner größten Pleite als Redner auf Dinner-Partys. 2005 ging für die Tories schließlich unter Hagues Nachfolger Michael Howard die dritte Wahlkampagne in Folge verloren. Der junge David Cameron wurde als der Mann erkoren, der die Konservativen aus dem Tal führen sollte. Cameron setzte auf die Erfahrung und das politische Gespür des Oxford-Absolventen Hague als seine Nummer zwei - und gewann.
Christian Jung (dpa) - Bild: epa