Zu den konspirativen Stasi-Treffen fährt der Polizist Karl-Heinz Kurras aus West-Berlin getarnt mit Mütze und Brille. Er liefert Adressen, Dienstanweisungen, Alarmpläne. Niemand ahnt etwas von seinem Doppelleben. Doch dann läuft die wertvolle Quelle aus dem Ruder. Kurras erschießt am 2. Juni 1967 bei Protesten den Studenten Benno Ohnesorg. Die Stasi schaltet ihren GM (Geheimer Mitarbeiter) "Otto Bohl" ab, der auch noch Mitglied der DDR-Staatspartei SED ist.
Knapp 48 Jahre nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg starb Kurras nun in Berlin. Das bestätigte das Bezirksamt Spandau dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Kurras sei anonym bestattet worden, schreibt der "Tagesspiegel".
"Es ist ein Menetekel in der deutschen Geschichte, dass diese Tat ungesühnt bleibt", sagt der Historiker und Stasi-Experte Helmut Müller-Enbergs der Deutschen Presse-Agentur. Kurras wird in zwei Verfahren 1967 und 1970 freigesprochen. Für den Vorwurf der fahrlässigen Tötung fehlen die Beweise. Der Täter selbst beruft sich auf Notwehr. Auch neue Ermittlungen nach seiner Enttarnung verlaufen im Sande.
Als die Stasi-Akte von Kurras 2009 entdeckt wird, ist das eine Sensation. Plötzlich stellen sich neue Fragen: Schoss Kurras im Auftrag der Stasi? Sollte durch den Schuss die Studentenbewegung radikalisiert und die Bundesrepublik geschwächt werden? Wie weit war die West-Berliner Polizei unterwandert?
Für Müller-Enbergs steht fest: "Kurras hatte keinen Auftrag, Ohnesorg zu erschießen - dafür gibt es keine Hinweise." Aber Kurras habe mit dem Schuss den Start für den Linksterrorismus gegeben. Die Geschichte wäre anders verlaufen, hätte man die Stasi-Verstrickung von Kurras auch nur geahnt, schätzt der Experte ein.
In den Stasi-Unterlagen über Kurras alias Otto Bohl steht auch, dass dieser für seine Waffensammlung viel Geld ausgebe. Sein Wunsch, dass ihm das Ministerium für Staatssicherheit eine Waffe besorgen möge, wird aber abgelehnt. Kurras berichtet auch über desertierte Stasi-Offiziere. Gegen solche Verräter müsse man scharf vorgehen, wird der Spitzel zitiert.
Obwohl er seine Aufträge mit "Mut und Entschlossenheit" erledige, "war er oft sehr waghalsig und zum Teil leichtfertig", heißt es in der umfangreichen Akte. Als Kurras 1976 erneut den Stasi-Kontakt sucht, gibt er zu Protokoll, er habe sich nichts vorzuwerfen und bereue nichts.
Waffen haben es Kurras noch als Pensionär angetan. Nach Bekanntwerden seiner Stasi-Kontakte durchsucht die Polizei seine Wohnung und beschlagnahmt Munition und eine Waffe, wenige Wochen später wird eine weitere Waffe eingezogen. Kurras bekommt dafür eine Bewährungsstrafe.
Der Ex-Polizist zieht auch selbst vor Gericht, er will die Kürzung staatlicher Gelder nicht hinnehmen. Kurras hatte Eingliederungshilfen bekommen - weil er nach Kriegsende im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen eingesperrt war. Doch als die Stasi-Tätigkeit publik wird, stellt sich heraus, dass Kurras nicht aus politischen Gründen dort saß - sondern wegen illegalen Waffenbesitzes. Kurras zieht die Klage 2011 zurück.
Von Jutta Schütz, dpa/est - Bild: Hannibal Hanschke (epa)