Es war im Oktober 1941, als sich Anne Frank und Jacqueline van Maarsen das erste Mal in Amsterdam an der dortigen jüdischen Schule trafen und schnell anfreundeten. Knapp ein Jahr später tauchte das heutzutage so berühmte Mädchen mit seiner Familie unter.
Van Maarsen lebt heute noch in Amsterdam, sie hat mehrere Bücher über ihre prominente Freundin geschrieben und kommt auch in dem neuen ARD-Film "Meine Tochter Anne Frank" (18. Februar um 20.15 Uhr) zu Wort.
"Obwohl wir in keiner schönen Zeit lebten, hatten wir viel Spaß", erzählte die 86-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt am Main.
Frau van Maarsen, als Sie das erste Mal das Tagebuch gelesen haben: Waren Sie da überrascht? Haben Sie Seiten an Anne Frank entdeckt, die sie nicht kannten?
Nein, gar nicht. Ihr Vater Otto Frank war überrascht, aber ich nicht. Sie war in dem Tagebuch so wie sie war, wie sie sich selbst gesehen hat. Ich wollte es ja eigentlich gar nicht lesen. Dass sie Tagebuch geschrieben hat, wusste ich schon vorher, als wir noch gemeinsam zur Schule gingen. Ich habe sie gefragt, ob ich es lesen darf, schließlich war ich ihre beste Freundin. Aber ich durfte es nicht, das Tagebuch war ihr heilig. Erst 1947 habe ich das Buch gelesen. Ich fand das schrecklich. Da stand auch drin, was wir gesprochen hatten.
Wie haben Sie denn als Freundin Anne Frank erlebt?
Ich habe nie mehr jemanden getroffen, der so sehr das Leben genoss wie sie. Das ist vielleicht die beste Beschreibung. Aber sie hatte natürlich viele Facetten. Sie war sehr offen. Und schon nach einigen Tagen hat sie mir gesagt, ich sei ihre beste Freundin. Da war sie sehr schnell. Und ich durfte nicht so viel mit anderen Mädchen sprechen.
Sie war eifersüchtig?
Ja, sehr. So war die Freundschaft. Wir waren immer zusammen, wir gingen auch in dieselbe Klasse. Obwohl wir in keiner schönen Zeit lebten, hatten wir viel Spaß. Wir haben uns ja nicht viel mit Politik beschäftigt. In der Schule war Anne sehr tüchtig, sie hat sehr viel gelesen. Ich habe heute noch Bücher, die sie auch gelesen hat, zum Beispiel über Mythen aus Griechenland und Rom.
Und als sie plötzlich weg war...?
Da war ich sehr einsam und traurig. Aber Sorgen habe ich mir nicht gemacht. Freunde hatten in dem Haus der Franks einen Zettel gefunden mit einer Adresse in der Schweiz. Wir dachten alle, sie sind dort. Erst nach Kriegsende habe ich von Otto Frank erfahren, was passiert war. Er hat viel geweint und wollte mit mir immer über Anne sprechen.
Was glauben Sie, wäre aus Anne geworden?
Da habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Sie selbst wollte immer berühmt und auf keinen Fall Hausfrau werden.
Zur Person
Jacqueline van Maarsen wurde 1929 geboren und wuchs in Amsterdam auf. Ihr Vater war niederländischer Jude, ihre Mutter Katholikin aus Frankreich. Nach dem Krieg arbeitete sie als Buchbinderin. Sie lebt heute mit ihrem Mann in Amsterdam.
Interview: Sabine Maurer, dpa - Bild: Juanjo Martin/AFP