"Ich hoffe, alle sind OK nach dem Shitstorm von gestern", twitterte Craig Erlam am Freitag. "Ich weiß, dass ich noch unter Schock stehe." Erlam war zu dem Zeitpunkt noch Marktanalyst beim britischen Finanz-Wettanbieter Alpari UK. Jetzt ist die Firma insolvent. Schuld soll die Schweizerische Nationalbank (SNB) sein, die mit einer unerwarteten Entscheidung einen Währungsschock auslöste.
Jahrelang hatte die SNB den Franken mit einer Bindung an den Euro von einem zu starken Aufwerten abgehalten, um den sicheren Anlagehafen Schweiz vor der Überflutung durch die internationale Geldschwemme zu schützen. Am Donnerstag gaben die Währungshüter den Kurs völlig überraschend frei - und erwischten Spekulanten auf dem falschen Fuß. Am Freitag kostete der Franken fast einen Euro, rund ein Fünftel mehr als lange Zeit zuvor. Der Chef des Uhrenkonzerns Swatch, Nick Hayek, hatte die Franken-Freigabe einen "Tsunami" genannt.
Die SNB habe sich als "Amateur" gezeigt, kommentierte Erlam. "Eine Menge Leute werden erheblich darunter leiden." Die Firma meldete Insolvenz an. Die Mehrheit der Kunden habe Verluste erlitten, die ihr Einlagenkapital überstiegen. "Wo der Kunde diesen Verlust nicht abdecken kann, wird er an uns weitergereicht."
Alpari UK ist eine von diversen Firmen einer Branche, in der die Grenzen zwischen Finanzanlage und Kasino verschwimmen. Wer die Bundesliga oder die englische Premier League verfolgt, kennt sie von der Banden- und Trikotwerbung: CMC Markets, IG Markets (Slogan: "Lebe jeden Trade"), FXpro oder Alpari - sogenannte Online-Broker, die im Internet gegen Gebühren Finanzwetten für jedermann anbieten.
Das Geschäftsmodell beruht auf Kunden mit ausgeprägtem Hang zur Zockerei. Bei den Online-Brokern können sie mit wenig Geld und einem Vielfachen ihres Einsatzes spekulieren. Der "Hebel" lässt es bei manchem Anbieter zu, mit einem Euro, Dollar oder Pfund mehr als die hundertfache Summe einzusetzen. Das lässt die Gewinne massiv steigen - aber auch die Verluste.
Das Risiko ist enorm hoch. So hoch, dass die USA den maximalen Fremdkapitalhebel schon vor Jahren auf das 50-fache des Einsatzes begrenzten. Seitdem tummelt sich der Markt vor allem im lascher regulierten Großbritannien. Doch nicht nur die Kunden gehen bei den Wetten hohe Risiken ein, auch die Unternehmen selbst. Zehren die Verluste die Einlagen der Kunden auf, müssen die Broker einspringen, zumindest wenn sie keine Nachschusspflicht vereinbart haben.
Als die SNB die Wechselkursgrenze aufhob, schoss der Franken zum Euro zeitweise um etwa 30 Prozent in die Höhe. Ein Albtraum für viele Anleger. Denn durch den Festkurs von 1,20 Franken pro Euro, den die SNB in den vergangenen Jahren mit allen Mitteln durchgesetzt hatte, war das Währungspaar zu einer beliebten Einbahnstraßen-Wette geworden. "Spekulanten vertrauten blind darauf, dass die SNB den Kurs verteidigen werde", sagt Stefan Riße vom Vermögensverwalter HPM.
Alpari UK ist bei weitem nicht das einzige Opfer. Der kleine neuseeländische Wettbewerber Global Brokers stellte sein Geschäft noch vor den Briten ein. Der größte US-Broker FXCM konnte am Freitag nur durch einen Notkredit über 300 Millionen Dollar gerettet werden, die Aktie fiel zwischenzeitlich um mehr als 70 Prozent. Interactive Brokers und IG Group sollen ebenfalls heftig gelitten haben. Die in Deutschland stark vertretene Firma CMC Markets räumte Verluste ein, gab aber wie die Rivalen ETX Capital und FXpro rasch Entwarnung.
Experte Riße macht Naivität für das Fiasko der Kleinspekulanten bei den Broker-Firmen verantwortlich: "Zum einen fehlte die Erfahrung, dass es die sichere Spekulation eben nicht gibt und zum anderen, dass fixe Devisenkurse auf Dauer noch nie gehalten haben." Doch auch große Akteure am Finanzmarkt wurden von der SNB kalt erwischt: Laut "Wall Street Journal" stehen Citigroup und die Deutsche Bank vor Einbußen von jeweils etwa 150 Millionen Dollar. Ein Sprecher der Deutschen Bank wollte das nicht kommentieren. Einige Hedgefonds sollen ebenfalls schwere Verluste erlitten haben.
Schweizer Notenbank rechtfertigt Entscheidung
Der Chef der Schweizer Nationalbank hat die Turbulenzen an den Märkten nach der Freigabe des Schweizer Franken als überzogen bezeichnet. "Was wir jetzt beobachten, ist ein massives Überschießen", sagte der Präsident der Schweizer Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, der "Neuen Züricher Zeitung" und der Zeitung "Le Temps". Der Franken sei nun gegenüber allen Währungen stark überbewertet. "Der Markt wird nach und nach feststellen, dass diese Überbewertung nicht gerechtfertigt ist", sagte Jordan. Es werde jedoch einige Zeit dauern, bis die Märkte zu geordneteren Verhältnissen zurückkehrten.
Die SNB hatte am Donnerstag völlig überraschend die seit 2011 geltende Wechselkursbindung des Franken an den Euro aufgehoben. Diese sah einen Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro vor. Die Schweizer Währung verteuerte sich daraufhin erheblich. Die Schweizer Wirtschaft hatte die SNB-Entscheidung kritisiert. Es sei zu befürchten, dass vor allem exportorientierte Unternehmen Einbußen hinnehmen müssten.
Jordan verteidigte nun die SNB-Entscheidung vom Donnerstag. "Die Nationalbank hat lange Zeit mit dem Mindestkurs Risiken für die Wirtschaft auf ihre Bilanz genommen", sagte er. Die Situation sei für die Wirtschaft im Moment zwar sehr schmerzhaft. "Aber irgendwann musste der Mindestkurs sowieso wieder aufgehoben werden. Ich vertraue darauf, dass die Wirtschaft jetzt nicht überreagiert."
Der Mindestkurs habe der Schweiz in der Vergangenheit große Dienste geleistet und die Wirtschaft stabilisiert, sagte Jordan weiter. Die Situation habe sich jedoch geändert. "Divergierende Entwicklungen in den großen Währungsräumen führten dazu, dass eine Verteidigung des Mindestkurses nicht mehr sinnvoll war und nur noch mit ganz großen Interventionen hätte durchgesetzt werden können."
dpa/okr Bild: Laurent Gillieron (epa)