Kühn schwebt die einst längste Hängebrücke der Welt über der breiten Meeresenge am Eingang zur Bucht von San Francisco. Die Golden Gate Bridge mit ihren orangen Art-déco-Türmen ist die wohl meist fotografierte Brücke der Welt.
"Es ist eine majestätische Brücke in einer wunderschönen Landschaft", sagt der Kalifornier David Hull. "Sie ist schön, aber tödlich", fügt der 70-Jährige hinzu. 2003 war seine damals 26 Jahre alte depressive Tochter Kathy von der Brücke 70 Meter tief in den Tod gesprungen.
Seit Jahren macht sich Hull mit dem Verein "Bridge Rail Foundation" für eine Barriere stark, um Suizide zu verhindern. Er könnte sein Ziel bald erreichen: Die Golden Gate Bridge soll für 76 Millionen Dollar (etwa 55,8 Millionen Euro) Schutznetze aus Stahl erhalten. Über das geplante Bauvorhaben, teils mit Bundesmitteln finanziert, will die Brückenverwaltung an diesem Freitag abstimmen.
Die Errichtung einer Barriere wird schon seit den 1950er Jahren diskutiert. Die Umsetzung scheiterte immer wieder an ästhetischen Einwänden, an bautechnischen Problemen und an den Kosten. Zig Varianten - von Nylonnetzen über Plexiglasscheiben bis hin zu Drahtzäunen wurden geprüft, keine genehmigt. In den 1990er Jahren installierten die Betreiber über ein Dutzend gelbe Notruf-Telefone, die direkt zu einer Anti-Suizid-Hotline führen. Zudem fahren Angestellte jeden Tag in kleinen Elektroautos auf der Brücke hin und her, um nach Lebensmüden Ausschau zu halten.
Doch San Franciscos Wahrzeichen blieb ein Magnet für Menschen, die sich umbringen wollen. Nach Angaben der "Bridge Rail Foundation" ist es das Bauwerk mit den meisten Suiziden der Welt. Mehr als 1500 Menschen stürzten über das nur 1,20 Meter hohe Geländer in den Tod, das erste Opfer drei Monate nach der Eröffnung der Brücke im Jahr 1937. "Im vorigen Jahr war die Zahl mit 46 Suiziden sehr hoch", sagt Brückenmanager Denis Mulligan. "Typischerweise sind es Männer mittleren Alters, doch wir sehen nun auch eine wachsende Zahl von Teenagern und Kriegsveteranen".
Die Statistik führt nur Opfer auf, die beim Sprung beobachtet oder deren Leiche gefunden wurde. Die Dunkelziffer liegt weit höher. 118 Lebensmüde konnten 2013 nach Angaben der Brückenverwaltung von ihrem Vorhaben abgehalten werden. "Das sind alarmierende Zahlen", sagt David Hull. "Fast jeden zweiten Tag läuft jemand über die Brücke mit der Absicht, sich das Leben zu nehmen." Hätte es eine Barriere gegeben, dann wäre seine Tochter heute noch am Leben, glaubt Hull.
Das geplante Stahlnetz soll sieben Meter unterhalb des Fußwegs und damit weitgehend außer Sicht der Spaziergänger angebracht werden. Auf beiden Seiten der Brücke soll es sieben Meter weit horizontal herausragen. Mulligan verweist auf bereits erprobte Auffangnetze an anderen Bauwerken, darunter die Haggenbrücke in St. Gallen und die Terrassenplattform am Berner Münster. "Die Erfahrung zeigt, dass keiner mehr springt. Es würde weh tun, sieben Meter tief in dem Stahlnetz zu landen. Lebensmüde wollen sterben, nicht aber sich verletzen", sagt Mulligan.
Täglich passieren bis zu 6000 Radfahrer, mehr als 10.000 Fußgänger und jährlich über 40 Millionen Autos die Golden Gate Bridge. Einige Besucher äußern Kritik an dem teuren Bauvorhaben. Das Geld sollte nicht in Barrieren, sondern in Anti-Suizid-Programme gesteckt werden. Andere befürchten eine Verschandelung des Bauwerks. Die Schweizer Urlauber Peter und Monika Hüssy würden das in Kauf nehmen. "Es darf die Touristen ruhig etwas stören, wenn es dafür einigen Menschen hilft", sagt die Schweizerin. Stimmen die Behörden den Plänen zu, so könnten die Netze bis 2018 angebracht werden, schätzt Mulligan. "Es ist an der Zeit", meint Hull. "Der Eiffelturm, das Empire State Building und andere Attraktionen haben längst Suizidbarrieren eingerichtet, nur nicht die Golden Gate Bridge."
Von Barbara Munker, dpa - Bild: Peter Dasilva/AFP