Die Traumabewältigung bei Betroffenen des Grubenunglücks im türkischen Soma kann nach Experteneinschätzung Jahre dauern.
"Angehörige und Einsatzkräfte können aus dem Unglück eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln", sagt Georg Pieper vom deutschen Institut für Traumabewältigung (IFT). Beim Grubenunglück von Borken 1988 hatte der Psychologe die Betroffenen betreut.
Nach seiner Erfahrung entwickelt etwa jeder Dritte typische Symptome. "Vor dem geistigen Auge spielen sich dann immer wieder die gleichen Bilder ab", sagt Pieper. "Die Patienten fühlen sich stark angespannt, haben Schlafstörungen und Ängste." Eine genaue Diagnose sei allerdings erst nach etwa vier Wochen möglich. "Zunächst befinden sich die Menschen im Schock."
Die geborgenen Bergleute seien oft nicht einmal froh über ihre Rettung. Im Gegenteil: "In der Regel fühlen sie eine Überlebensschuld. Sie vergleichen sich mit den Verstorbenen und verzweifeln an der Frage, warum sie selbst und nicht ein anderer gerettet worden ist", berichtet Pieper. Oft verfielen die Geretteten dann in Depressionen.
Mindestens ein Jahr könne es dauern, eine aufgetretene posttraumatische Störung zu behandeln - meist länger. "Die Menschen müssen lernen, sich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen", erklärt der Experte. Negative Gefühle und Gedanken zu vermeiden, bringe nichts. "Vergessen geht nicht." Das Ziel der psychologischen Arbeit sei es, Erlebtes als Teil des Lebens zu akzeptieren.
Dass viele Menschen ihr Mitgefühl am Ort des schwersten Grubenunglücks in der Geschichte der Türkei ausdrücken, gehört laut Pieper zur dortigen Kultur. "Das ist erlebte Hilflosigkeit und auch Teil des Verarbeitens - besonders dann, wenn Angehörige noch auf eine gute Nachricht hoffen."
Besonders hart treffe das Grubenunglück all jene, die aus Geldnot bald wieder unter Tage arbeiten müssen. "Dieses Bergwerk ist objektiv gefährlich", sagt Pieper. Der Psychologe hofft, dass die Sicherheitslücken geschlossen werden. "Dann war das Unglück zumindest nicht ganz umsonst."
Von Cornelia Weber, dpa - Bild: Bild: Bulent Kilic/AFP