Der Astronaut Neil Armstrong, der Mount-Everest-Bezwinger Edmund Hillary oder der Abenteurer Thor Heyerdahl - sie alle waren Mitglied im legendären New Yorker "Explorers Club". Und Barry Clifford sieht sich ganz in ihrer Tradition. "In diesem Gebäude fühle ich mich sicher und zu Hause", sagt der 68-Jährige mit dem strahlend weißen Lächeln und den stechend blauen Augen, als er am Mittwoch in dem noblen Backsteingebäude an der New Yorker Upper East Side vor Dutzenden Journalisten ans Rednerpult tritt.
Ausgestopfte Eisbären, Elefantenstoßzähne und Expeditionsschlitten dekorieren das Clubhaus, das sonst meist nur den ausgewählten Abenteurer-Mitgliedern zugänglich ist. Aber dem Meeres-Archäologen und erfahrenen Taucher Clifford geht es an diesem Tag um etwas, das noch nicht an Land zu sehen ist: um das Wrack der "Santa María", dem legendären Flaggschiff des Seefahrers Christoph Kolumbus, mit dem er an Weihnachten 1492 kenterte. Mehr als 500 Jahre lang galt das Schiff als verschollen, aber Clifford will es jetzt vor der nördlichen Küste Haitis gefunden haben. Es wäre einer der wichtigsten archäologischen Unterwasserfunde der Geschichte.
Schlüssel zur Entdeckung in Kolumbus' Tagebuch
"Der Schlüssel zur Entdeckung der Santa María stand in diesem Buch", sagt Clifford und wedelt mit einer zerfledderten Ausgabe von Kolumbus' Tagebuch-Aufzeichnungen. An vielen Stellen zwischen den weißen Einbänden stecken gelbe Klebezettelchen. "Die Beweise sind überwältigend, dass es sich bei diesem Schiff mit höchster Wahrscheinlichkeit um die "Santa María" handelt. Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte."
Schon 2003 tauchte Clifford erstmals auf der Suche nach dem Schiff vor der nördlichen Küste Haitis. "Millionen von Menschen haben die "Santa María" nicht gefunden. Ich wollte herausfinden, was sie übersehen haben." Intensiv las er Kolumbus' Tagebuch und alles, was Wissenschaftler bereits über die "Santa María" veröffentlicht hatten. Und dann vermaß er selbst noch einmal alles ganz genau.
Seine Schlussfolgerungen unter anderem: Das Schiff kann nicht auf einem Korallenriff gesunken sein, denn Kolumbus schrieb, niemand an Bord habe die Havarie mitbekommen. Also musste es auf Sand gestoßen sein, da es sonst gegen die Korallen gekracht wäre. Außerdem habe Kolumbus das Fort "Navidad" an einer anderen Stelle auf dem haitianischen Festland gebaut, als Wissenschaftler zunächst vermutet hatten. Von "Navidad" aus bezifferte Kolumbus die Entfernung zum Wrack der "Santa María" mit 4,77 Meilen (etwa 7,7 Kilometer).
Clifford und sein Team tauchten 2003 an eben jener Stelle - und fanden einen sechs mal zwölf Meter großen Haufen Steine - alles, was heute noch von einem Schiff wie der "Santa María" übrig wäre. Aber sie entdecken ganz in der Nähe auch zahlreiche andere Wracks und als ihnen das Geld ausging, gaben sie erstmal entnervt auf. Erst Jahre später habe es ihm gedämmert, so Clifford. "Ich bin eines Nachts um drei aufgewacht und stand plötzlich senkrecht im Bett. Plötzlich wusste ich es: Was wir damals in dem Wrack fotografiert hatten, war eine Bordkanone aus dem 15. Jahrhundert, wie sie nur Kolumbus dabei haben konnte."
"Reste so schnell wie möglich herausgeholen"
Er überzeugte den renommierten Archäologen Charles Beeker von der Universität Indiana und den Geschichts-Sender "History Channel" und machte sich vor wenigen Wochen erneut auf den Weg nach Haiti - aber zu seinem Entsetzen war die Bordkanone nicht mehr da. "Das Wrack ist geplündert worden. Es ist eine Notsituation, das Schiff ist in Gefahr, die Reste müssen jetzt so schnell wie möglich herausgeholt und gesichert werden." Aber Clifford bekam plötzlich Cholera und musste Haiti überstützt wieder verlassen. "Und jetzt ist niemand da, der das Wrack bewacht."
Cliffords Entdeckung ist umstritten. Unter anderem spanische Wissenschaftler zeigen sich skeptisch und zweifeln die Echtheit des Fundes an. Nach dem Untergang des Schiffes sei das Holz, wie Kolumbus in seinem Tagebuch geschrieben habe, zum Bau einer Festung verwendet worden, entgegnen sie unter anderem. "Das Schiff wurde nie auseinandergenommen", widerspricht Clifford, der sich bislang vor allem mit der Entdeckung von Piratenschiffen einen Namen gemacht hat. Kolumbus habe nur alles Wichtige aus dem Schiff herausgeholt.
Aber er gibt zu: "Mit dieser Art von Entdeckungen muss man sehr vorsichtig sein. Es gibt wahnsinnig viele Beweise, aber wir müssen das Schiff jetzt erstmal hochholen." Unter dem Steinhaufen könnte noch vieles verborgen liegen, hofft Clifford. Das alles will er - sobald das Einverständnis der haitianischen Regierung vorliegt - sobald wie möglich bergen und dann Forschung und Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Christina Horsten, dpa/sh - Bild: Don Emmert (afp)