Der Kriegsverbrecherprozess gegen den früheren SS-Mann Siert Bruins wegen der Ermordung eines niederländischen Widerstandskämpfers ist überraschend eingestellt worden. In den fast 70 Jahren seit der Tat seien Beweise verloren gegangen, begründete das Landgericht Hagen die Entscheidung am Mittwoch. Es sei nicht mehr möglich gewesen, Zeugen zu befragen und zu hinterfragen. Der heute 92-jährige Bruins konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.
Bruins war angeklagt, mit einem Vorgesetzten im September 1944 den Gefangenen bei einer fingierten Flucht in der Nähe von Groningen erschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. Die Vorsitzende Richterin nannte die Einstellung eine für viele "unerwartete Entscheidung". Die Kammer gehe zwar zumindest von einem Totschlag aus. Mordmerkmale hätten aber nicht mehr nachgewiesen werden können. Der Vorwurf des Totschlags sei verjährt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision beim Bundesgerichtshof ist möglich. Die Staatsanwaltschaft will das Urteil zunächst prüfen. Der Anwalt der Nebenklägerin, der 97 Jahre alten Schwester des Opfers, will zunächst seine Mandantin über den Ausgang informieren. "Dieses Urteil wird sie sehr schockieren", sagte er.
Der gebürtige Niederländer Bruins hatte sich während des Krieges freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Nach einer Verletzung während des Russlandfeldzuges wurde er in die Grenz- und Hafenstadt Delfzijl versetzt. Dort wurde am 21. September 1944 der Widerstandskämpfer getötet. Die Alliierten waren zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden auf dem Vormarsch. Adolf Hitler hatte kurz zuvor den sogenannten Niedermachungsbefehl gegeben.
Bruins war bereits 1949 in den Niederlanden wegen mehrerer Taten von einem Sondergericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits in Deutschland untergetaucht. Später wurde das Urteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Ausgeliefert wurde er nie, weil er mit dem Eintritt in die SS die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Nachdem Bruins in den 1970er Jahren in der Nähe von Hagen aufgespürt worden war, kam es zu Ermittlungen im Fall des Widerstandskämpfers und wegen der Ermordung zweier niederländischer Juden.
Im Fall der Juden wurden Bruins und sein Vorgesetzter August Neuhäuser 1980 in Hagen wegen Beihilfe zum Mord zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten sich gegenseitig beschuldigt. Die Ermittlungen im Fall des Widerstandskämpfers stellte die Staatsanwaltschaft zunächst ein. Später nahm sie die Ermittlungen wieder auf, weil sie die Tatbeteiligung von Bruins jetzt als Mord wertete.
Anklage gegen 88-jährigen Kölner wegen Massakers in Frankreich
Ein mittlerweile 88 Jahre alter Kölner soll im Zweiten Weltkrieg in Frankreich an der Ermordung von 624 Einwohnern des Ortes Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat gegen ihn Anklage wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes an 25 Menschen und Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen erhoben. Dies teilte das Landgericht Köln am Mittwoch mit.
Der Rentner soll Angehöriger der 3. Kompanie des I. Bataillons des SS-Panzergrenadier-Regiments 4 "Der Führer" gewesen sein. Die Tat geschah am 10. Juni 1944. Der Angeklagte war zur Tatzeit 19 Jahre alt. Daher habe eine Strafkammer des Kölner Landgerichts nun als Jugendkammer darüber zu entscheiden, ob das Hauptverfahren eröffnet werde, hieß es. Laut Anklage sollen die Soldaten den Befehl zur Ermordung erhalten haben, um eine vermeintliche Entführung eines Bataillonskommandeurs zu sühnen und die Bevölkerung abzuschrecken. Unter den 624 Getöteten waren 254 Frauen und 207 Kinder.
Am Tattag wurde das Dorf zunächst umstellt. Anschließend wurden sämtliche Bewohner auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Männer wurden von den Frauen und Kindern getrennt. Die Männer wurden dann in Gruppen aufgeteilt. Laut Anklage wurden sie von Erschießungskommandos zu vier Scheunen geführt und dort getötet.
Dem Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft vor, gemeinsam mit anderen Kompaniemitgliedern den Tod von 25 Männern verursacht zu haben. So sollen er und ein weiterer Maschinengewehrschütze die Männer in einem Weinlager niedergeschossen haben, bevor die Überlebenden von anderen Soldaten durch Pistolenschüsse und das Inbrandsetzen der Scheune getötet worden seien.
Danach soll der Angeklagte zur Kirche gegangen sein. Darin waren mehrere hundert Frauen und Kinder des Ortes eingesperrt. Angehörige der 3. Kompanie sollen einige von ihnen zunächst mit Sprengstoff, automatischen Waffen und Handgranaten getötet haben. Anschließend wurde die Kirche angezündet. Dadurch sei der Tod der übrigen Frauen und Kinder verursacht worden. Der Angeklagte soll bei ihrer Ermordung geholfen haben, "indem er entweder in Sichtweite der Kirche Absperr- und Bewachungsaufgaben übernahm oder Brennmaterial in die Kirche trug", so das Gericht.
Dass erst 70 Jahre nach der Tat Anklage erhoben wurde, beruht laut Landgericht auf einer erneuten Prüfung bereits früher geführter Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Dortmund. Dort ist die sogenannte Zentralstelle im Land NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen angesiedelt.
dpa/mh - Bild: Patrik Stollarz (afp)