Gefährlicher könnten die Akrobaten im staatlichen Moskauer Zirkus kaum durch die Luft wirbeln. Immer wieder bremst Zirkusdirektor Edgard Sapaschny die Artisten, die zu viel wagen wollen, um Zuschauer zu begeistern. "Unsere Aufgabe ist es, die Leute zu faszinieren - nicht zu erschrecken", mahnt der 37-Jährige. Er leitet die Proben für das neue russische Weltfestival der Zirkuskunst, das in Moskau noch bis zum 20. Oktober dauert.
Auch die neue Trophäe "Idol", die einen Akrobaten im einarmigen Handstand zeigt und ihm Rahmen des Festivals verliehen wird, soll helfen, den Zirkus im Riesenreich wieder populärer zu machen, sagt Sapaschny. Der für seine spektakulären Pferdenummern bekannte Dresseur stammt selbst aus einer sowjetischen Zirkusdynastie. Und er kann sich auch noch gut an die triumphalen Erfolge erinnern, die einst der sowjetische Staatszirkus international feierte.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - besonders in den chaotischen 1990er Jahren - blutete die international renommierte Zirkuskunst aus, das Imperium zerbrach. Viele Artisten suchten ihr Glück im Ausland. Sapaschny - seit knapp einem Jahr Chef des mit 2000 Mitarbeitern und 3400 Zuschauerplätzen größten russischen Zirkus - will den Artisten wieder eine Zukunft in der Heimat geben. "Es geht aber nicht darum, im eigenen Saft zu schmoren. Das Festival machen wir auch, um einen Überblick zu geben über das, was unsere Zirkuswelt am Atmen hält", sagt er. Besonders die Konkurrenz aus Afrika nehme rasant zu.
"Ein Zirkus ohne Tiere ist kein Zirkus"
Es gebe heute wieder attraktive Engagements in Russland, sagt Urs Pilz vom Zirkusfestival in Monte Carlo. Der Schweizer sitzt in der "Idol"-Preisjury und lobt die hohe Qualität der Zirkuskultur mit ihren vielen Schulen. Als Präsident der Europäischen Zirkus-Vereinigung (ECA) achtet er auch auf den Umgang mit Tieren. Auch in Russland gebe es viele Tierschützer, die gegen diese Nummern seien.
"Ein Zirkus ohne Tiere ist kein Zirkus", betont Pilz aber. Er zitiert Umfragen, nach denen in Russland 95 Prozent der Zuschauer Tiernummern sehen wollen. "Erst dann kommen die Clowns und dann die Akrobatik." Pilz beklagt, dass Tierschützer nicht zum Dialog mit Zirkusleuten bereit seien. "Man will diese Branche kaputtmachen, was die Tiere betrifft. Die Gegner haben viel Geld."
Umso wichtiger sei es etwa auch für die Russen, europäische Richtlinien für die Arbeit mit Tieren im Zirkus zu übernehmen. "Man ist hier erwacht. Wenn wir überleben wollen, müssen wir es gut machen", sagt Pilz. Tierschützer werfen Zirkusleuten immer wieder vor, sie würden zum Beispiel Bären und Hunde durch Gewalt und Stress zu den Tricks in der Manege zwingen. Zirkus-Direktor Sapaschny weist solche Vorwürfe der Tierquälerei zurück.
Unter den Nummern aus 15 Ländern - mit fast 200 Künstlern - sind Reiter aus Turkmenistan sowie zahlreiche Dressuren aus Russland mit Affen, Frettchen, Tigern und Pinguinen. Die Veranstalter vom russischen Staatszirkus setzen darauf, dass Kulturminister Wladimir Medinski das Weltfestival der Zirkuskunst weiter unterstützt. Ziel sei es aber, sagt Sapaschny, dass sich das Spektakel bald selbst trage und wie andere einen festen Sendeplatz im Fernsehen bekomme.
Von Ulf Mauder, dpa - Bild: Yuri Kochetkov (afp)