"Man muss ja auch mal vernünftig sein", wird sich Fauja Singh gedacht haben. Wenn man älter wird, muss man ein bisschen kürzer treten und sich schonen. Gesagt, getan: Fauja Singh macht Schluss. Am Sonntag läuft der älteste Marathon-Läufer der Welt mit 101 Jahren in Hongkong sein letztes Rennen.
Der "Turban-Tornado", wie ihn sein Biograph taufte, mit gelbem Kopfschmuck und langem grauen Bart seit Jahren ein willkommener Farbtupfer bei großen Marathonveranstaltungen, ist bald Geschichte.
Fauja Singh ist ein Läuferwunder - obwohl er sich Zeit gelassen hat, sein Hobby zu finden. Erst mit 89 Jahren lief er seinen ersten Marathon. Damals braucht er für die 42,196 Kilometer sechs Stunden und 54 Minuten. Wie guter Wein wurde auch Fauja im Alter besser. Drei Jahre später, als er bereits 92 Jahre alt war, gelang dem nur 52 Kilogramm schweren Vegetarier seine Bestzeit: 5 Stunden, 40 Minuten und vier Sekunden. Insgesamt erreichte er neun Mal das Ziel, darunter in London, New York und Toronto. Dort lief er im Alter von 100 Jahren eine Zeit von 8 Stunden und elf Minuten.
Laufen als Ausweg aus der Depression
Fauja Singh stammt aus einem Dorf im indischen Bundesstaat Punjab, wo er als Bauernsohn aufwuchs. Als er 84 Jahre alt war und sein ältester Sohn bei einem tragischen Unfall starb, suchte er einen Ausweg aus der Depression - er zog nach England und begann zu laufen. Noch heute besucht er sein Dorf regelmäßig. Über seinen Abschied von der Marathonszene ist er keineswegs glücklich. Das Alter verlange seinen Tribut. "Ich will das Wort Ruhestand nicht wirklich hören", sagte er der indischen Zeitung 'Hindustan Times'. "Ich kann noch immer laufen und auf einen Bus aufspringen."
Das Laufen hat dem gläubigen Sikh berühmt gemacht. Nicht zuletzt im vergangenen Sommer, als er unter dem Jubel von Tausenden das Olympische Feuer als einer der Fackelläufer ein Stück durch London tragen durfte. Mit dem Sportschuhhersteller Adidas hatte er zeitweise einen Werbevertrag. Auf Facebook hat er mehr als 50.000 Freunde. Regelmäßig ist er im Fernsehen und in Zeitungen zu sehen.
Dem Marathon-Methusalem schwant, dass es damit bald vorbei sein könnte. "Ich habe Angst, dass mich keiner mehr mag, wenn ich aufhöre zu laufen. Ich hoffe, dass niemand mich vergisst oder ignoriert", sagte der Ur-Ur-Großvater. "Wenn man älter wird, wird man wie ein Kind und braucht die Aufmerksamkeit."
Von Michael Donhauser, dpa - Bild: Indranil Mukherjee, afp