Wer unerwartet blind wird, muss den Alltag neu organisieren. Eine sprechende Uhr, ein spezielles Handy und ein piepsendes Gerät, das beim Füllen von Gläsern hilft - das sind die kleinen Hilfsmittel für die erblindeten Überlebenden des tschechischen Pansch-Skandals. Sie hatten Alkohol getrunken, der mit Methanol in hochgiftiger Dosis gestreckt war.
«Es ist eine schwere Situation - innerhalb von fünf Minuten verändert sich das ganze Leben», berichtete Vladimir Lipina aus Havirov einer Reporterin des tschechischen Rundfunks. Der Mann aus dem mährisch-schlesischen Industrierevier hatte als einer der ersten Vergiftungspatienten das Krankenhaus verlassen können.
Die Hilfsorganisation Tyfloservis kümmert sich seit 21 Jahren um Erblindete wie Lipina. Dort können die Klienten Braille lesen und schreiben lernen, Computerkurse belegen oder die Orientierung mit dem Blindenstock erlernen. Die von einem Tag auf den anderen Erblindeten brauchen Zeit, um sich mit ihrer neuen Situation abzufinden. Das berichtet die Leiterin der Tyfloservis-Filiale in Ostrau (Ostrava), Lucie Skrisovska. «Jeder findet seinen eigenen Weg, wie er eine dermaßen anspruchsvolle Situation bewältigt», sagte sie am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Für manche sei es außerordentlich schwer.
Alkohol und Sehkraft
Die aktuelle Vergiftungsserie mit inzwischen 25 Toten in Tschechien gilt als beispiellos. Doch Patienten, die nach Alkoholkonsum ihre Sehkraft verloren haben, sind für die Sozialarbeiter in Ostrau keine neue Erfahrung. «Diese Probleme hat es auch in früheren Jahren gegeben, aber das Interesse der Medien war nicht so groß», meint Skrisovska. Das Thema sei erst nach dem jüngsten Skandal im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen.
Die tschechische Polizei ist den Giftmischern und ihren Hintermännern laut eigenem Bekunden dicht auf den Fersen. Doch die öffentliche Debatte kreist zunehmend um die Frage, ob der illegale Handel mit Alkohol in der Vergangenheit zu lange geduldet wurde. Dass die Probleme mit dem Schwarzmarkt seit langem bekannt gewesen seien, behaupten die Spirituosen-Hersteller. Sie hätten zuletzt zwei Wochen vor der Vergiftungsserie darauf aufmerksam gemacht, sagen Branchenvertreter. Schätzungen über den Anteil des Schwarzmarkts am Alkoholhandel reichen von 10 bis 25 Prozent.
Pikante Zahlen
Polizeipräsident Martin Cervicek enthüllte am Wochenende im tschechischen Fernsehen pikante Zahlen. Allein in den vergangenen zwei Jahren sei die Polizei 156 Straftaten im Zusammenhang mit der illegalen Produktion von Alkohol nachgegangen. Auf gefährliche Mengen des Industriealkohols Methanol waren die Ermittler dabei seinen Angaben zufolge nicht gestoßen. Finanzminister Miroslav Kalousek nahm seine Zollbehörden in Schutz: «Ich muss entschieden verneinen, dass die Zollverwaltung verantwortlich ist, wenn ein Gauner Gift in den Alkohol gießt», sagte der Minister im Fernsehsender Prima.
Unterdessen steht die Regierung weiter vor der Herausforderung, den legalen Markt mit hartem Alkohol wieder in Gang zu bringen. Am 14. September hatte Gesundheitsminister Leos Heger mit einer Notverordnung allen Verkauf von Spirituosen mit mehr als 20 Prozent Alkohol gestoppt. Schon am Mittwoch könnten erste Lockerungen in Kraft treten. Der Export bleibt bis auf weiteres verboten. Die traditionsreiche Becherovka-Kräuterlikörfabrik in Karlsbad (Karlovy Vary) geht in der Not neue Wege, um schnell wieder auf dem Markt präsent zu sein. Die Firma legte eine Sonderserie mit einem reduzierten Alkoholgehalt von nur 19 Prozent auf, der damit nicht unter das Verkaufsverbot fällt. Innerhalb von 48 Stunden sollte der neue Likör mit Zitronengeschmack die Regale der Geschäfte erreichen.
dpa - Bild: Radek Mica (afp)