Die Dame im bunten Kleid mit Schürze, der Herr in der speckigen Lederhose: Was in früheren Zeiten der ländlichen Bevölkerung unter anderem als Arbeitskleidung diente, ist zum Oktoberfest in München salonfähig.
Theater, Büro oder Abendeinladung - vor allem das Dirndl ist mittlerweile regelrechtes Allzweck-Outfit und ersetzt Business-Kostüm und Abendkleid gleichermaßen. Tracht boomt seit Jahren - über die Ursachen wird viel spekuliert.
Heimat habe wieder Wert, sagen die einen. Es gehe ums dazugehören, sagen die anderen. Pragmatische Stimmen meinen: Eine Frau im Dirndl oder ein Mann in Lederhose schaut einfach gut aus. «Nur wegen der Wiesn braucht man keine Tracht anziehen», sagt Wiesn-Stadtrat Helmut Schmid. «Die Tracht gehört zum normalen Leben in Bayern.» Nicht nur die Bayern, auch Russen und Amerikaner, Australier und Italiener, Asiaten und Afrikaner - alle stürzen sich begeistert in die bayerische Tracht. Manche Gäste besinnen sich auf die eigene Herkunft. Schotten kommen im Kilt, Holländerinnen in Holzschuhen.
«Tracht ist auf dem Vormarsch», sagt Nina Munz, Assistenz der Geschäftsleitung und Tochter des Geschäftsführers beim Traditionsbetrieb Angermaier. «Die Stammkundschaft kommt aus dem weiteren Münchner Umland. Aber es kaufen auch viele Ausländer - wir merken das im Online-Shop.» Im vergangenen Jahr verkaufte Angermaier rund 25.000 Dirndl und 15.000 Lederhosen. Das Hirschleder kommt hauptsächlich aus Neuseeland, Kanada, Deutschland und Österreich - aus eineinhalb Hirschen wird eine Lederhose.
What's that?
Gelegentlich allerdings löst die Tracht Staunen aus. In Indien wunderten sich Gäste beim ersten Oktoberfest in der High-Tech-Metropole Bangalore über das Outfit der Blaskapelle. Die Zeitung «The Times of India» erklärte ihren Lesern: Die Kleidung der «Reisbacher Musikanten» sei nicht dreckig, sondern müsse so aussehen. «Man nennt es Lederhose und wenn es ölig ist, ist es ein Original.»
Die Lufthansa präsentiert zur Wiesn-Zeit traditionell eine Trachtencrew. Firmenvorstände erscheinen in Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen. Ex-Wiesnchefin Gabriele Weishäupl, die mehr als 25 Jahre als «Botschafterin der Stadt» unterwegs war, kam anfangs im Kostüm. «Ich habe aber sehr schnell festgestellt, dass es viel mehr Furore macht, wenn ich im Dirndl komme.» In den USA, in Afrika und Asien war sie nun nur noch «President of the Octoberfest». «Ich glaube, dass die Tracht generell auch ein wahnsinniges Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt», sagt Nina Munz. «Es vermittelt ein positives gemütliches Lebensgefühl.»
«Ganz kurze Dirndl, die unter dem Po enden, haben nichts mit dem Dirndl zu tun», sagt Munz. Auch junge Frauen griffen wieder zu längeren Kleidern bis zur Wade, die Farben des Jahres sind Blau und Grün, kombiniert mit kräftigen Farben. Bei den Männern liegen kurze Lederhosen im Trend, die in Oberbayern Tradition haben. «Es geht zum Klassischen.»
dpa - Bild: Christof Stache (afp)