Knapp 29 Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der Tochter eines Vatikan-Angestellten ist in einer spektakulären Aktion das Grab eines berüchtigten Mafia-Bosses geöffnet worden - im Sarg befanden sich auf den ersten Blick nur die Überreste des «Renatino» genannten Mafioso Enrico De Pedis.
Doch dann entdeckten die Ermittler noch eine Kassette mit Knochen, die offenbar nicht zu dem Leichnam gehören, wie die Ansa berichtet. Sie sollen nun untersucht werden. Damit gibt es noch eine neue Hoffnung, Licht in das Verschwinden der 15-jährigen Emanuela Orlandi zu bringen.
Am 22. Juni 1983 war die 15-jährige Emanuela Orlandi nach dem Besuch einer Musikschule spurlos verschwunden. Da sie als Tochter eines Angestellten des päpstlichen Hauses damals die jüngste Bürgerin des Vatikanstaates war, erregte der Fall besonderes Aufsehen. Ihr Vater Ercole Orlandi war Hofdiener von Papst Johannes Paul II.
Graböffnung
Immer wieder hatte es Gerüchte gegeben, Emanuela sei ermordet und mit dem Mafioso zusammen beigesetzt worden. Die römische Staatsanwaltschaft hatte deshalb nach jahrelangem Hin und Her im April der Graböffnung zugestimmt. Der Vatikan hatte sich bereiterklärt, das Grab des 1990 erschossenen Mafia-Bosses zu öffnen. Der Kirchenstaat hatte die Bestattung des Mannes in der Basilika erlaubt, obwohl dies über Jahrhunderte hinweg nur Kardinälen und anderen hohen Kirchenmännern vorbehalten gewesen war.
Spezialisten der Spurensicherung untersuchten am Montag den Leichnam - es handele sich eindeutig um den Mafioso, stellten sie fest. Der Bruder von Emanuela, Pietro Orlandi, sagte: «Emanuela ist entführt worden, nicht weil sie Emanuela Orlandi war, sondern weil sie Bürgerin des Vatikan war.» Wenn die Magliana-Bande je eine Rolle gespielt habe, sei es die von Handlangern gewesen. Nach Pietros Angaben nahm kein Vertreter des Vatikan an der Graböffnung teil.
Gerüchte
Um das Verschwinden der Jugendlichen rankten sich viele Gerüchte und Spekulationen. 2008 hatte De Pedis' Ex-Freundin ausgesagt, die Drahtzieher der Entführung säßen «im Vatikan». Der Vatikan wies die Anschuldigungen seinerzeit als «infam und unbegründet» zurück. Im vergangenen Jahr behauptete dann Antonio Mancini - ein Ex-Mitglied der Magliana-Bande -, Emanuela sei gekidnappt worden. Die Vatikanbank sollte nach seinen Worten so gezwungen werden, Geld zurückzugeben, das der Mafiaboss und seine Komplizen bei ihr investiert hätten. De Pedis habe das Geld aber dann abgeschrieben.
Zeitweise wurde auch gemutmaßt, die Entführung Emanuelas habe im Zusammenhang mit dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 gestanden. Anonyme Anrufe und Schreiben wiesen damals darauf hin, das Mädchen könnte entführt worden sein, um den Attentäter freizupressen. Das könnten aber auch Ablenkungsmanöver gewesen sein. Der Attentäter soll damals einen Austausch verweigert haben, aber später behauptet haben, er wisse, dass Emanuela von einer mächtigen Organisation entführt worden und noch am Leben sei.
Emanuelas Bruder Pietro will auf jeden Fall weiter dafür kämpfen, das Schicksal seiner Schwester aufzuklären. «Es ist ein Akt der Liebe gegenüber meiner Schwester, die Unrecht erlitten hat: Sie haben ihr nicht erlaubt, ihr Leben zu leben.»
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