
Vilja war nie irgendein Elefant. Als «Schlitzohr» beschrieben ihre Pfleger das 61 Jahre alte Tier, als «Chefin im Elefantenhaus» des Stuttgarter Zoos Wilhelma auch. Selbst wenn ihr biblisches Alter nicht hundertprozentig bestätigt ist, starb am Samstag in glühender Hitze wohl Europas ältester Elefant. «Auch wenn wir sehr traurig sind, so können wir zumindest sicher sein, dass Vilja sich nicht lange hat quälen müssen», sagte Zoodirektor Dieter Jauch.
Denn die Frage, ob man eine möglicherweise über Monate leidende Vilja irgendwann mal erlösen müsse, hätte sich in der Wilhelma niemand stellen wollen. Zu lieb hatten die faltige Dame alle, Publikum wie Pfleger, bestätigte Zoo-Sprecherin Karin Herczog. Längst kaute Vilja auf ihren allerletzten Zähnen, bekam seit geraumer Zeit eine Art «Senioren-Müsli», das eigentlich für Pferde gedacht ist. In freier Wildbahn hätte sie ein solches Alter nie erreichen können, sagte Herczog. Maximal 40 Jahre werden Elefanten dort - auch weil sie immer schlecht an Futter kommen.
Auch die drei verbliebenen Stuttgarter Elefantendamen Zella, Molli und Pama sind bereits Mitte 40. Viljas Alter war im Grunde genommen ein bisschen geschummelt, wie die Wilhelma zugibt. Das Wappentier war ein Wildfang, und niemand weiß so ganz genau, wann es geboren wurde. Klar ist aber: Als sie 1952 für 12.000 Mark (etwa 6000 Euro) nach Stuttgart kam - als erstes Säugetier der Wilhelma - war sie mindestens drei Jahre alt. Und als sie Anfang 2008 einen schweren Sturz in den Graben mit Schürfwunden überlebte, stand für die Verantwortlichen fest: der 24. Januar war ihr Geburtstag.
Möglich also, dass sie noch älter war. Vielleicht sogar so alt wie der älteste Elefant, der je in Europa lebte? Rekordhalter Birma, ebenfalls eine Elefantenkuh, starb nach Angaben der Wilhelma 1981 im Zoo Gelsenkirchen - mit 63 Jahren. Vilja erlitt am Samstag, ein knappes halbes Jahr vor ihrem 62. Geburtstag, einen Kreislaufkollaps, hieß es. Besonders fit soll sie noch in den Tagen zuvor gewesen sein, wenige Stunden vor ihrem Tod habe sie sich noch ausgiebig mit kühlendem Schlamm beworfen.
Ihre «pfiffige Art» werde allen in Erinnerung bleiben, sagte Herczog. Auch den Ruf eines Schlitzohrs erwarb sich der drei Tonnen schwere Dickhäuter im Laufe der Jahrzehnte. Besonders kreativ sei sie auf ihre alten Tage immer dann gewesen, wenn es darum ging, Belohnungen zu erschleichen. Nicht selten sei sie zum «Langrüssel» geworden, um die Taschen ihrer Pfleger nach Essbarem zu durchforsten. Ungezählt sind auch die Fotoapparate, Taschen und andere Mitbringsel, die sie - vor allem in ihren Jugendjahren - bei ihren Zaungästen stibitzte. Die Reste im Kot entlarvten den Vielfraß. Und dickköpfig konnte sie sein: Nur mit Hilfe von zwei Lastwagen konnte Vilja 1968 in ein neues Elefantenhaus gezogen werden.
Zwar baute Vilja immer weiter ab. Für ihr Alter war sie aber bis zum Schluss noch ganz rüstig. Ein bisschen Arthrose plagte sie, ein Knie war etwas steif. Auch deshalb schlief sie inzwischen lieber im Stehen. «Vilja soll in Würde und ohne lange zu leiden sterben können», hatte sich ihr Pfleger Volker Scholl vor Jahren schon gewünscht - und es ist wahr geworden.
Roland Böhm (dpa) - Bild: epa