Als Oh Eun Sun am Dienstag den Gipfel des 8091 Meter hohen Annapurna im Himalaya erreichte, schickten Live-Kameras Bilder des Triumphs vom Berg. Doch während der Aufstieg in die Todeszone in Südkorea als nationale Angelegenheit gefeiert wurde, beäugten andere den Rekord in dünner Luft argwöhnisch. Denn nicht von jedem Gipfelsieg hat die zierliche Alpinistin solch eindeutige Bild- Dokumente geliefert.
In Ohs Nachbarschaft waren am Dienstag zwei andere Frauen unterwegs, die auf den Spuren der Südtiroler Bergsteigerlegende Reinhold Messner wandeln: Die Spanierin Edurne Pasaban, mit 13 Gipfeln zweitbeste Alpinistin der Welt, müht sich derzeit am Shisha Pangma in Tibet. Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner, der noch zwei Achttausender fehlen, klettert am Mount Everest, dem höchsten Berg der Erde. Beide sind Verfechterinnen des Alpinstils. Im Gegensatz zu Oh versuchen sie, stets ohne zusätzlichen Sauerstoff, Fixseile und Träger an ihr Ziel zu gelangen.
Pasaban reagierte trotzdem sportlich auf die Nachricht vom Annapurna. «Ich wusste, dass es passieren konnte, denn Miss Oh war mir einen Achttausender voraus», sagte die Spanierin nach Angaben der Madrider Zeitung «El Mundo» (Internetausgabe). «Ich gratuliere ihr, denn soweit ich mitbekommen habe, war der Aufstieg auf den Annapurna aufgrund des Windes sehr schwer.» Über ihre Besteigung des Kangchendzönga werde die Südkoreanerin demnächst jedoch noch genauer befragt werden.
Erfolg wird in Frage gestellt
Oh hatte den 8586 Meter hohen Berg im Himalaya im vergangenen Jahr mit einem sehr unscharfen Foto «abgehakt», das Zweifel nährte, ob sie oben war. Mit Bilddokumenten müssen Alpinisten nachweisen, dass sie einen Berg bezwungen haben. Die als «Himalaya-Chronistin» allseits anerkannte amerikanische Journalistin Elizabeth Hawley (86) sagte dem britischen Sender BBC in Kathmandu, dass sie Ohs Besteigung als «angefochten» markiert habe. Sollten Hawleys Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass Ohs Gipfelsieg nicht anerkannt wird, würde der Rekord der Koreanerin keine internationale Anerkennung finden.
Für Pasaban und Kaltenbrunner wäre das eine neue Chance. Doch zumindest die Österreicherin hat sich oft genug davon distanziert, einen Wettbewerb bestreiten zu wollen. «Es gibt und es gab nie ein Wettrennen für mich. Wenn es mir nur um den Rekord ginge, hätte ich überall die Normalwege genommen», sagte die 39-Jährige. «Ich möchte auf jedem der 14 Achttausender Gipfel gestanden haben, doch ist es mir völlig egal, als wievielte Frau.» Neben dem Everest, den sie von der Nordwand bezwingen will, fehlt ihr auch noch der K2 im Karakorum.
Oh dagegen hat aus ihrem Ehrgeiz nie einen Hehl gemacht: «Ich habe die Motivation, die erste Frau zu sein, die alle 14 Achttausender besteigt», hatte sie im vergangenen Jahr vor dem ersten Versuch am Annapurna im Himalaya-Gebirge angekündigt. Damals hatte sie die Besteigung wegen schlechten Wetters abbrechen müssen. Nach eigenen Angaben hat sie bisher nur am Mount Everest und am K2 zusätzlichen Sauerstoff aus der Flasche benutzt.
Medienrummel um Oh Eun Sun
Die Expedition auf den wegen gefährlicher Winde und vieler Lawinenabgänge gefürchteten Annapurna wurde zum Medienereignis. Fast täglich brachte der öffentliche Fernsehsender KBS einen Lagebericht live aus Ohs Höhenlagern. Als sie auf dem Gipfel stand, riss sie die Arme hoch und bedankte sich bei «allen, die mich unterstützt haben».
Sie wolle die Ehre mit allen Koreanern teilen. Die Regierung in Nepal sah sich zunächst zu keiner Reaktion imstande. Man habe noch nicht unabhängig überprüft, ob Oh auf dem Gipfel gewesen ist, hieß es recht verhalten aus Kathmandu.
Infos:dpa/ Bild:epa