Die Dänin Margrethe Vestager gilt als die mächtigste Frau Brüssels - je nach Blickwinkel könnte man auch sagen: die gefährlichste. Vestager ist EU-Kommissarin und zuständig für die Wahrung des freien Wettbewerbs. Und sie hat keine Angst, sich mit den ganz Großen anzulegen.
Gegen den US-Internetkonzern Google läuft noch ein Verfahren wegen Wettbewerbsverzerrung, auch der russische Energieriese Gazprom ist im Visier der obersten Konkurrenzwächterin. Und dass sie nicht nur bellen, sondern auch beißen kann, das bekommt jetzt der US-Computergigant Apple zu spüren. "Die Steuervorteile, die Apple in Irland genossen hat, sind unserer Ansicht nach illegal", sagte Vestager am Mittag in Brüssel.
Irland ist bekannt dafür, den multinationalen Konzernen ein möglichst weiches Bettchen zu machen, damit sie sich auf der Grünen Insel niederlassen. Konkret: Dublin schneiderte Apple einen äußerst lukrativen Steuerdeal auf den Leib. In der Praxis sah das so aus: In Irland gab es offiziell zwei Apple-Niederlassungen - eine, die sich um das Irland-Geschäft kümmerte und die ganz normal Steuern an den irischen Staat abführte, und eine Tochtergesellschaft, die als Verkäufer für alle Apple-Produkte in Europa, Afrika, im Nahen Osten und in Indien fungiert.
Steuersatz von 0,005 Prozent
Diese zweite Firma namens "Apple Sales International" zahlte faktisch keine Steuern. Fast der komplette Gewinn, der über den Verkauf von Apple-Produkten insbesondere in Europa erwirtschaftet wurde, wanderte quasi eins zu eins in die Apple-Kasse. "Nehmen wir mal das Beispiel 2014", sagt Margrethe Vestager. "In dem Jahr galt für Apple ein effektiver Steuersatz von 0,005 Prozent. Bei einem Gewinn von, sagen wir, eine Million Euro belief sich die Abgabe auf stolze 50 Euro."
"Apple Sales International" firmierte offiziell als der Europa-Hauptsitz von Apple. "Naja, ich müsste sagen: der 'so genannte' Hauptsitz. Diese Firma bestand lediglich auf dem Papier, es gab keine Mitarbeiter, keine Räumlichkeiten und auch keine wirklichen Aktivitäten", sagte Margrethe Vestager. Es habe also überhaupt keine Rechtfertigung dafür gegeben, dass für beide Firmen unterschiedliche Steuersätze galten, sagt Vestager. Ergo: Apple sei vom irischen Staat gegenüber anderen Firmen bevorteilt worden.
Das nennt man illegale Staatsbeihilfe und kommt einer Wettbewerbsverzerrung gleich. Deswegen, und da kracht das Damoklesschwert krachend auf den Apple-Konzern, muss Apple dem irischen Staat 13 Milliarden Euro an Steuern nachzahlen. "Wir wollen damit ein klares Zeichen setzen: Kein EU-Mitgliedstaat darf lukrative Steuerdeals mit ausgewählten Unternehmen abschließen. Egal, ob die nun aus Europa kommen oder aus Drittstaaten. Egal, ob die nun groß oder klein sind."
Van Overtveldt sieht sich bestätigt
Vor allem dieser Satz dürfte ein paar Straßen weiter in Brüssel ebenfalls für heiße Ohren gesorgt haben. Auch Belgien hat mit einer Reihe von multinationalen Unternehmen Steuerdeals abgeschlossen. Die EU-Kommission hatte schon einen ersten Aufwisch davon für illegal erklärt; Steuervorteile für 36 Firmen, unter anderem Atlas Copco, BP oder BASF. Im Prinzip müssen diese Unternehmen eine Steuernachzahlung von insgesamt 700 Millionen Euro leisten.
"Wir können nur feststellen, dass die EU-Kommission jetzt systematisch diese Steuerdeals abklopft", sagte Finanzminister Johan Van Overtveldt in der VRT. Die Tage dieser maßgeschneiderten Steuervorteile seien wohl gezählt. Und für Van Overtveldt gibt es denn auch nur eine Möglichkeit, weiterhin Unternehmen nach Belgien zu locken: "Wenn es keine Hintertüren mehr gibt, dann muss man eben den Basissteuersatz senken."
Da ist sie also wieder, die Forderung des Finanzministers nach einer Senkung der Körperschaftssteuer; er selbst hatte vor einigen Tagen für einen Basissteuersatz von 20 Prozent plädiert, statt bisher 34 Prozent. Erst recht die Causa Apple dürfte diese Debatte jetzt noch weiter befeuern.
Roger Pint - Bild: John Thys/AFP